Während eines Spaziergangs mit unserem Pflegehund im Frühling 2017 hatten wir die Idee, Geld zu sparen und ein oder zwei Jahre lange durch die Welt zu reisen. Sich einfach treiben lassen, ohne Termindruck. Das klang nach einem Abenteuer.
Wir setzten uns ein Sparziel, arbeiteten hart, manchmal bis zu 60 Stunden in der Woche. Wir verzichteten auf unnötige Ausgaben wie Restaurantbesuche, Konzerte und kauften bewusst wenig und vor allem: second-hand. Nach monatelanger Recherche kannten wir die Visabestimmungen beinahe aller Länder, wussten über Klima und Reisebedingungen bestens Bescheid. Anfang 2019 meißelten wir unsere Pläne in Stein: auf dem Landweg nach Thailand und dann nach Australien. Vielleicht noch Südamerika. Jedenfalls Richtung Osten. Startdatum der Reise: 1. April 2020. Umso näher dieser Tag rückte, umso konkreter wurden unsere Schritte. Ende 2019 reichten wir die Kündigung unserer Wohnung und Jobs ein. Wir schlossen eine Krankenversicherung für das Ausland ab, erstellten Packlisten, diskutierten über Zwischenhalte unserer Route.
Im Januar 2020 verfolgten wir eher nebenbei die aufkommende Corona-Krise in Wuhan
„Was solls“, dachten wir, „wir möchten von Peking nach Shanghai, Wuhan ist davon mehr als 800 Kilometer entfernt.“ Als sich Anfang Februar immer weitere Regionen Chinas abschotteten, dachten wir: „Okay, wenn der dicht besiedelte Osten Chinas rausfällt, dann reisen wir über Westchina, Tibet und Nepal.“ Wir kontaktierten Reisebüros und freuten uns, eine tolle Alternativroute gefunden zu haben. Schließlich schloss die Mongolei ihre Grenzen – nicht nur die nach China, sondern auch nach Russland. „Dann reisen wir eben soweit wir kommen und falls die Grenzen noch immer geschlossen sein sollten, wenn wir zur Mongolei kommen, fliegen wir einfach“, so der neue Plan. Wir waren ja flexibel. So feierten wir Ende Februar den Ausstand im Büro mit den Kollegen und zeigten uns noch zuversichtlich. Doch das Virus breitete sich aus. In Italien, dann in Deutschland, Europa und eigentlich der gesamten Welt. Mitte März schien es aber noch, als würden die tropischen, warmen Länder die Ausbreitung sehr gut unter Kontrolle haben. Wir suchten gerade nach Bahnverbindungen von Hessen nach Tschechien, als die Eilmeldung der Tagesschau auf dem Handybildschirm aufploppte: Tschechien schließt seine Grenzen. Polen würde wohl bald nachziehen, der Landweg nach Osten wäre damit für uns versperrt.
Krisensitzung
Wir würden noch mindestens zehn Tage brauchen, um unsere Wohnung leer zu räumen, die Möbel zu verstauen und das Auto zu verkaufen. Wir überprüften Reisehinweise und Einreisebestimmungen. Mexiko, Thailand und Australien sahen noch gut aus. Wenige Coronafälle, keine Quarantänemaßnahmen bei Einreise und vor allem: keine Einreiseverweigerung für Deutsche. Denn mit steigenden Infektionen in Deutschland sahen wir die Gefahr, als Deutsche in kaum einem Land noch Zutritt zu erhalten. Wir räumten also unsere Wohnung leer, verabschiedeten unsere Freunde und verkündeten, in wenigen Tagen einen Flug zu buchen und irgendwo die Krise auszusitzen, in drei, vier Monaten würde sie schon vorüber sein. Doch in der zweiten Hälfte des Märzes überschlugen sich die Ereignisse. Die Fallzahlen stiegen weltweit rapide an. Ein Land nach dem anderen schottete sich ab oder führte zumindest Ausgehbeschränkungen ein, die Reisen faktisch nicht möglich machten. Doch es gab kein zurück mehr, die Kündigungen hatten wir ja bereits vor Monaten ausgeprochen. Wir übergaben die Schlüssel unserer Wohnung und unseres Autos jeweils neuen Besitzern und begriffen – nun joblos, obdachlos und jeglicher Mobilität beraubt – dass wir nicht am 1. April den Daumen rausstrecken würden, um per Anhalter Richtung Osten zu fahren. Wir würden nirgendwo hinfliegen, noch würden wir wenige Wochen die Krise aussitzen. Was sich da zusammengebraut hatte, war ein Desaster, das Millionen Menschenleben bedrohte, den Alltag von Milliarden stark beeinträchtige, die Bewegungsfreiheit quasi auf Null reduzierte und die Wirtschaft der gesamten Welt härter traf als die letzte Finanzkrise.
Wir fühlten uns schrecklich. Jahre der Planung, der freudigen Erwartung, des eisernen Sparens und Träumens zunichte gemacht. Die Zukunft: ungewiss. Wann öffnen sich die Grenzen? Wann können wir soziale Nähe wieder zulassen? In einem halben Jahr? In einem oder gar zwei?
Zu Hause bleiben ist das Vernünftigste, was jeder tun kann
Jetzt, da wir diese Zeilen schreiben, sitzen wir in Vanys ehemaligem Kinderzimmer im Haus ihrer Eltern. Hier haben wir glücklicherweise Unterschlupf gefunden. Die große, weite Welt ist geschrumpft. Außerhalb der vier Wände gibt es nichts, wohin man gehen könnte. Alles geschlossen oder verboten. Gewiss zu Recht. Ohnehin ist es in der aktuellen Lage nicht zu verantworten, von Tür zu Tür, von Land zu Land zu reisen und so vielleicht zur weiteren Ausbreitung des Virus beizutragen. Der Bewegungsradius ist zusammengedampft auf den Weg zum Supermarkt und die nachmittägliche Spazierrunde ums Dorf. Wir haben uns lange vor diesem Blogeintrag gesträubt. Es ist hart genug, zu erkennen, dass der Lebenstraum binnen zweier Monate vom Tisch gefegt wird wie eine Feder im Sturm. Diese Erkenntnis aber noch aufzuschreiben und über einen Blog mitzuteilen – dazu waren wir noch nicht bereit. Nun, da der Frühling die grauen Winterwolken vertreibt, Blumen ihre Blütenblätter der Sonne entgegenstrecken und die Temperaturen langsam steigen, bessert sich unsere Laune. Auch unsere startklaren Rucksäcke haben wir gestern ausgeräumt.
Es ist doch so: fast jeder hat gerade zu kämpfen. Der eine mehr, der andere weniger. Manch einer vereinsamt in der sozialen Isolation. Einzelhändler und Gewerbetreibende fürchten den finanziellen Ruin. Angestellte die Arbeitslosigkeit. Dennoch mangelt es uns an keinen grundlegenden Dingen. Wir haben Strom, fließendes Wasser, noch immer Nahrung im Überfluss und ein Dach über dem Kopf – und wenn wir ehrlich sind: auch genug Toilettenpapier. All das können die meisten Menschen auf dieser Welt nicht von sich behaupten. Während wir im Warmen sitzen, Netflix schauen und eine neue Leidenschaft fürs Aufräumen und die Gartenarbeit entdecken, drohen hunderttausende Menschen in Ostafrika auf Grund einer Heuschreckenplage zu verhungern, sind 25.000 Menschen im Flüchtlingslager Moria im Dreck zusammengepfercht und Krankheiten und dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Das Corona-Virus bedroht vor allem die Armen, Schutzbedürftigen in Ländern ohne funktionierendes Gesundheitssystem.
Es wird dauern, bis Normalität zurückkehrt. Die tschechische Regierung hat angekündigt, die Grenzen des Landes für mindestens ein halbes Jahr geschlossen zu halten. Alltag, wie wir ihn gewohnt sind, wird wohl erst durch einen weltweit flächendeckend verfügbaren Impfstoff möglich sein. Wir haben uns dagegen entschieden, weitere Pläne zu schmieden. Zu vieles ist momentan ungewiss. Wir halten uns alle Optionen offen. Zurück ins Berufsleben, um in einigen Monaten oder Jahren einen neuen Anlauf zu nehmen? Optimistisch bleiben und auf bald offene Grenzen hoffen? Die nächsten Monate werden es zeigen.
Bewusst haben wir unser altes Leben aufgegeben und befinden uns nun in der Situation, vor der die meisten Leute Angst haben: arbeitslos und ohne Wohnung. Du kannst einen guten Lauf haben und alles präzise planen, aber wenn dir die Ereigniskarte sagt: „Gehe direkt ins Gefängnis und ziehe nicht über Los!“, dann hast du nur die Wahl, entweder den Kopf in den Sand zu stecken oder nach vorne zu blicken. Jemand, dem der Optimismus meistens gelingt (und der irgendwie unser Schicksal teilt), ist Thor. Der Däne brach vor fast sieben Jahren auf, um jedes Land der Welt ohne Flugzeug und am Stück zu bereisen. Wir verfolgen seine Reise schon seit einigen Jahren. Mittlerweile fehlen ihm nur noch neun Länder, doch wegen der Reisebeschränkungen, die derzeit überall verhängt wurden, sitzt er nun seit zwei Monaten in Hongkong fest. Sieben Jahre lang verzichtete Thor auf die Bequemlichkeiten eines modernen Lebens und behielt auch während Durststrecken einen langen Atem. Ans Aufgeben dachte er nie. Auch jetzt lässt er sich von dem Virus nicht in die Knie zwingen, sondern nutzt die Zeit in Hongkong, so gut es geht. Er hofft darauf, dass Frachtschiffe Hongkong bald wieder anlaufen und er als Mitfahrer auf einem dieser seine Reise beenden kann. Ein bewundernswerter und durch und durch sympathischer Kerl, dessen Blog Once Upon a Saga wir nur empfehlen können.
Wir lassen diesen Blog nicht einschlafen
Auch wenn es für uns nicht sofort ins Ausland geht. Nicht umsonst haben wir den Namen „Stories of a World“ gewählt. Welche Story, wenn nicht Corona, beschäftigt die Welt sonst gerade? Sobald die Ausgehbeschränkungen wieder etwas gelockert werden, machen wir uns auf die Suche nach Geschichten. Diese Geschichten müssen nicht unbedingt aus Russland, China oder Thailand erzählt werden. Auch vor der eigenen Haustür warten genügend Abenteuer und Erzählstoff. Bleibt also dran.
Und noch wichtiger: bleibt optimistisch und gesund.