Reisen ist egoistisch – da müssen wir niemandem etwas vormachen. Der durchschnittliche Pauschaltourist fliegt zu seinem Urlaubsort und stößt Unmengen CO2 aus. Das Hotel, in dem er zwei oder gar drei Wochen verbringt, verbraucht viel Wasser und Energie (oft mit verheerenden Folgen für die lokale Umwelt und Bevölkerung) und oft sind die Arbeitsbedingungen in der Touristikbranche mehr als prekär. Von weiteren Auswüchsen des Massentourismus (Sextourismus, zur Schaustellung ethnischer Minderheiten u.v.m.) ganz zu schweigen.
Der klassische Backpacker scheint hier der optimale Gegenentwurf zu sein: jung, idealistisch und kultursensibel reist er in die entlegensten Ecken dieser Welt und sucht den kulturellen Austausch, wo es nur geht. Doch es ist gerade der Backpacker, der nicht nur einmal im Jahr für den Sommerurlaub nach Ägypten an den Strand fliegt, sondern wenn immer möglich nicht aufgebrauchte Urlaubstage vom Vorjahr zusammenkratzt oder seine Semesterferien nutzt, um ein abgelegenes Ziel zu bereisen. Vor Ort sind es dann besonders ausgefallene Aktivitäten, die Backpacker in ihren Bann ziehen und alles andere als nachhaltig oder sinnstiftend sind: Schnorcheln in den letzten intakten Korallenriffen, Inselhopping mit übermotorisierten Speedboats oder ATV-Touren durch unberührte Dschungelwelten.
Reisen dient dem Selbstzweck und ist nur selten nachhaltig. Kultureller Austausch scheitert oft an Sprachbarrieren oder findet nur sehr oberflächlich statt – wie auch sonst, wenn man nur wenige Tage an einem Ort verbringt.
Ja, auch wir lieben es zu reisen und tun es nicht für die Welt, sondern für uns. Es ist ein starker Drang, der uns regelmäßig und heftig in die Ferne zieht. Wir lieben das Abenteuer, interessieren uns für die Geschichte und Politik verschiedenster Länder und haben Spaß daran, Menschen kennenzulernen und neue Eindrücke zu sammeln. Das ist egoistisch, aber deswegen noch nicht gleich schlecht. So wie uns das Reisen bildet, die Augen öffnet für die zahllosen Missstände auf der Welt und uns unsere Lebensweise immer wieder aufs Neue hinterfragen lässt, so zehren auch andere von ihren Reisen. Nach zweiwöchigem Strandurlaub fühlen sich viele Menschen erholt und schöpfen neue Kraft, ihren tristen Büroalltag zu überstehen. Wie viele Freundschaften haben Auslandssemester geschaffen? Ist es nicht ein wunderbares, fast schon lebensbejahendes Zeichen, dass unsere Städte, Büros, Schulen und Familien zunehmend multikultureller werden? Dass wir die Angst vor dem Fremden mitsamt unseren Vorurteilen abzulegen wagen? Der Mensch ist ein rastloses, umherziehendes Wesen, zu neugierig und intelligent, um sein begrenztes Revier niemals zu verlassen. Solange es die Möglichkeit zu fliegen gibt, wird der Mensch fliegen.
Auch wir sind in den letzten Jahren sehr viel geflogen
Gelegentlich auch nur für ein Wochenende. Zugegeben – immer mit einem schlechten Gewissen, aber geflogen sind wir trotzdem. Gerade auch, weil ein Teil von Chris Familie in Thailand lebt, verbrachten wir mindestens einen Jahresurlaub in dem asiatischen Land.
Während der Planung unserer Weltreise diskutierten wir immer wieder, wie wir den ökologischen (negativen) Impact unserer Reise minimieren könnten. Die Hauptfrage: Erlauben wir es uns, zu fliegen? Tatsächlich ist Thailand – unsere erste Zwischenstation – relativ problemlos über Land zu erreichen. Das würde aber bedeuten, Länder wie Südkorea, Japan, Taiwan oder Hong Kong auszusparen. Die Alternative: gar nicht diese Länder bereisen? Ggf. auf einem späteren Trip via Fähre besuchen? Und davon einmal abgesehen: ist eine Fähre tatsächlich die bessere, heißt: ökologischere, Alternative zum Flugzeug? Und lässt sich diese Frage nicht beliebig weiter herunterbrechen? Ist der Zug nicht besser als der Bus, das Fahrrad nicht besser als der Roller? Mit der Konsequenz, sich am Ende nur zu Fuß weiterbewegen zu dürfen? Es gibt hervorragende Artikel, die verschiedene Arten des Reisens und ihren CO2-Ausstoß vergleichen (wie es bspw. die britische Tageszeitung The Guardian in einem älteren Artikel tat). Aber zu viele Variablen beeinflussen den Vergleich, sodass sich kaum eine allgemeingültige Aussage ziehen lässt.
Kann man also umweltbewusst sein und dennoch fliegen? Darf man überhaupt noch fliegen in einem Zeitalter, in dem die Fakten über die Auswirkungen unserer modernen Konsumwelt so eindeutig und offen vor uns liegen, in dem Hitzeperioden, Überschwemmungen und Wetterextreme in ihrer Häufigkeit zunehmen? Unserer Meinung nach gibt es zwei Antworten auf diese Frage. Die erste lautet, dass die Menschen aus freiwilligen Stücken nicht weniger fliegen werden. Um das zu erreichen, müssten die nationalen und länderübergreifenden Bahnnetze ausgebaut werden (es gab eine Zeit, da plante man eine Bahnverbindung von Berlin nach Bagdad und ist nicht die transsibirische Eisenbahn das Sinnbild für ein Streckennetz, das Menschen und Kulturen verbindet?), Flugpreise den tatsächlichen externen Kosten angepasst und Kurzstreckenflüge womöglich ganz verboten werden. Die zweite Antwort ist allerdings, dass jeder Verzicht einen kleinen Beitrag leistet, bis irgendwann die kritische Masse erreicht ist. Leider haben die wissenschaftlich unterlegten Ermahnungen der letzten dreißig, wenn nicht gar vierzig Jahre keinen Effekt gehabt, Privatpersonen oder Unternehmen zu nachhaltigerem Handeln zu bewegen. Mehr und mehr Ressourcen werden täglich verbraucht, mehr und mehr Abgase ausgestoßen, Wälder abgeholzt und eben Flugreisen angetreten, was uns wieder zu Antwort Nr. 1 führt.
Wer in einem Industrieland lebt, wird seinen ökologischen Fußabdruck kaum auf ein gesundes Maß beschränken können.
Wie in allen Bereichen des Lebens sollte man die Welt nicht in schwarz und weiß einteilen. Kompromisse und die Graubereiche zwischen den Extremen sollten der Maßstab zum Handeln sein. So ist es nicht zielführend, jedes Gramm CO2-Ausstoß während einer Fernreise auf die Waage zu legen. Hätten wir – statt zu reisen – uns dazu entschieden, zu Hause zu bleiben und einem normalen Bürojob nachzugehen, hätten der tägliche Weg zur Arbeit, die Inanspruchnahme von Fläche, die Teilnahme am Sozialleben, Konsum und Freizeitaktivitäten (die wir auf Reisen im weitaus geringeren Maße in Anspruch nehmen) unseren ökologischen Fußabdruck verschlechtert. In einem reichen Land geboren zu werden und an der Gesellschaft teilzuhaben hat unweigerlich die Konsequenz, dass wir mehr CO2 ausstoßen und mehr Ressourcen verbrauchen als es gut für die Erde ist.
Also noch einmal: kann man umweltbewusst sein und dennoch fliegen? Unsere Antwort: ja … aber! Für viele Menschen gehört das Fliegen zum Leben in einer globalisierten Welt dazu. Mitglieder einer Familie verteilen sich über den Globus, die Wirtschaft giert nach immer offeneren Grenzen und die Menschen verlassen zunehmend ihre Komfortzone und bilden sich nicht mehr nur in Bibliotheken weiter, sondern an kulturellen und historischen Stätten dieser Welt. Supermarktregale sind voll von Waren aus Übersee, mehr und mehr Schüler lernen von der ersten Klasse an Fremdsprachen. Die Welt rückt näher zusammen, und so viele Probleme das auch hervorruft, ist es an sich eine großartige Entwicklung. Wenn wir ehrlich sind, möchte kaum einer darauf verzichten. Umso wichtiger ist es, dass wir uns selbst hinterfragen, uns stets weiterbilden, kritisch bleiben und für eine bessere Welt für alle Menschen einstehen.
Unsere Leitlinien für nachhaltigeres Reisen
Wir haben für uns folgende Leitlinien gefunden, an denen wir uns orientieren, um insbesondere auf Reisen unseren negativen Impact möglichst gering zu halten:
- Wir trampen so oft es geht, denn die Autos wären auch ohne uns unterwegs.
- Wir fliegen nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Wenn wir fliegen, kompensieren wir den Flug.
- Wir reduzieren unseren Müll (Verzicht auf Tüten und Plastik wo möglich).
- Wir nutzen lokale Angebote anstatt Ketten und Franchiseunternehmen.
- Wir streben einen offenen Austausch mit Menschen an, zeigen Respekt und Verständnis.
- Wir zahlen einen fairen Preis.
- Wir nehmen an keinen Aktivitäten teil, die negative Folgen für Natur, Kultur oder Menschen haben.
- Wir hinterfragen unseren Konsum – was brauchen wir wirklich und langfristig? Macht uns ein Produkt dauerhaft glücklich? Können wir das Produkt stattdessen gebraucht kaufen?
Sieht so die Lösung aus, um den gefürchteten Klimawandel zu stoppen? Natürlich nicht. Es ist lediglich unser bescheidener, pragmatischer Beitrag dazu. Es ist an der Zeit, den Punkt zu überwinden, an dem nur über die Schuldfrage debattiert wird und Schreckensbegriffe wie „Flugscham“ und „Ökoterror“ verbreitet werden. Es ist gut und richtig, dass wir diskutieren und jeder sein Reiseverhalten hinterfragt. Aber erst ein Umdenken in der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft wird es uns ermöglichen, nachhaltig zu leben (und eines Tages vielleicht auch so zu reisen). Umso schneller dieses Umdenken erfolgt, umso eher die Chance, dass wir die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts, einer globalisierten Welt, behalten können.