Venedig
Eine Stadt voll von Geschichte und Romantik, das ist Venedig. Zugleich aber auch: Ein Vergnügungspark voller Menschen und falschen Fassaden. Häuser, die auf Pfählen errichtet wurden. Kanäle, die sich Blutadern gleich durch das Herz der Stadt ziehen und sie mit Leben versorgen. Touristen sind das Blut, Touristen sind der Tumor, der sich linear ausbreitet und wuchert. Als einziger Wirtschaftsfaktor erhält er Venedig am Leben, doch er saugt die Stadt aus, nimmt ihr den Charme, die Authentizität, die Einzigartigkeit.
2013 haben wir Venedig bereist. Ein Kurzurlaub im Mai. Wolken und blauer Himmel, abends lauwarme Regenschauer. Damals waren wir noch nicht allzu lange ein Paar. Konnte es einen schöneren Ort für uns geben?
Unser Hotel ist ein günstiges, unverputztes Haus mit Innnehof und auf dem Flur liegenden Badezimmer. Die Zimmerwände sind dünn, die Betten nicht mehr als ein klappriges Metallgestell mit ausgelegener Matratze. Es hat seinen Charme und der Rotwein auf dem zwergenhaften Balkon schmeckt uns umso besser.
Im Kriechgang schieben wir uns in der Menschenmasse über die Rialtobrücke. Ewige Liebe ist denen versprochen, die sich unter der Brücke küssen. Wir hingegen sind froh, es auf die andere Seite geschafft zu haben. Hier, im Bereich der Brücke, liegt das Zentrum der Stadt. Entlang des Grand Canals liegen überteuerte Restaurants mit einzigartigem Blick auf die vorbeiziehenden Gondeln. Die Gondolieri tragen gestreifte Jacken, halten die dünnen, langen Ruder in Händen und steuern eng aneinandergeschmiegte Verliebte zu ihren Hotels. Alles ist ein wenig zu kitschig, zu unecht, als dass man es glauben könnte – wären da nicht die tausenden Touristen, die sich immerzu vor die Kamera schieben oder uns anrempeln.
Im Dogenpalast kanalisieren sich die Pracht und Bedeutung der einstigen Weltstadt Venedigs. Ein glanzvoller, reich geschmückter Regierungssitz, vielleicht das schönste Gebäude der Stadt. Wenn die Sonne untergeht, fällt der Schatten des Markusturms auf den Palast. Vom Turm aus überblicken wir Venedig. Wir sehen die Brücken, die Kanäle, die roten Dächer. Wir sehen die gegenüberliegende Insel San Giorgio Maggiore. Der Glockenturm San Giorgios ragt dort auf als sei er der Bruder des Markusturms.
Die Sonne hat die Oberhand gewonnen. Es ist ein herrlich warmer Maitag. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff schiebt sich in den Hafen von Venedig und erbricht einen Haufen von Tagestouristen. 2013 zählte die Stadt 4,25 Millionen Touristenankünfte, zehn Jahre später schon 5,66 Millionen. In den letzten zwanzig Jahren hat sich deren Zahl mehr als verdoppelt. Wie kann eine Stadt damit umgehen, wenn sie doch zeitgleich so sehr vom Tourismus abhängig ist?
Wir schlendern am Südufer der Hauptinsel Centro Storico entlang. Hier ist es ein wenig ruhiger. Schnell verliert man die Orientierung im Gewirr der Gassen. Zum Mittagessen bestellen wir Lasagne und Wein. Die Lasagne ist klein und trocken, der Wein sauer und geschmacklos. Der Preis ist zu hoch. Wir haben Venedig gesehen. Zumindest seine Fassade. Venedig ist kein Ort mehr, an dem Leute leben und arbeiten können. An dem sie ihre Kinder großziehen oder überhaupt erst eine Familie gründen wollen. Venedig ist ein Disneyland, ein Ort für Touristen. In den historischen Gebäuden haben sich Luxusboutiquen und Souvenirshops eingenistet. Die Stadt hat ihre Seele an Kreuzfahrtreedereien verkauft und bezahlt nun den Preis dafür: Umweltzerstörung, Overtourism, explodierende Immobilienpreise.
Das wahre Venedig, das Venedig seiner Bewohner und Menschen, haben wir nicht gefunden. Vielleicht existiert es nicht einmal mehr.
Müde sind wir am letzten Abend vom vielen Laufen. Schwere Wolken sind aufgezogen. Mit einer Flasche Wein aus dem Supermarkt haben wir uns am Piazza San Marco niedergelassen. Die Tagestouristen sind auf ihre Kreuzfahrtschiffe zurückgekehrt, die Kreuzfahrtschiffe sind auf das Meer entschwunden. Der drohende Regenguss hat die verbliebenen Menschen in ihre Häuser und Hotels getrieben. Ein Wind kommt auf und die Straßen sind menschenleer. Gerade als wir vorsorglich den Regenschirm aufspannen, kommt es zum Wolkenbruch. Ein warmer Starkregen geht auf Venedig nieder. Der Weg zum Hotel ist noch lang. Unter dem Schirm ist nicht viel Platz – wir beide werden nass. Die Straßenlichter spiegeln sich in den Pfützen und im Wasser der Kanäle; die Stadt schimmert bläulich-gold im Abendlicht. So einsam und so leer ist Venedig eine wahre Perle.
Infos zu unserer Reise
Venedig lockt jedes Jahr Millionen von Besuchern an. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 hatte ganz Thailand nur knapp fünfmal so viele Touristenankünfte wie die Stadt Venedig. In den engen Gassen und Kanälen quetschen sich die Menschenmassen auf engstem Raum zusammen. Hinzu kommen die Kreuzfahrtschiffe, die zu einer besonders schädlichen und wenig nachhaltigen Form des Tourismus beitragen. Immer wieder testet die Stadtverwaltung neue Strategien, um der Lage Herr zu werden. Jüngst führte sie eine „Eintrittgebühr“ von 5 Euro ein.
Nichtsdestotrotz ist Venedig eine schöne Stadt. Nun wäre der Ratschlag schlechthin, im Winter nach Venedig zu reisen, um die Touristenmassen zu umgehen. Aber ein Städtetrip bei miesem, mitteleuropäischem Wetter macht nun wirklich keinen Spaß. Es führt also kein Weg daran vorbei: Wenn ihr Venedig sehen wollt, stürzt euch ins Getümmel – vielleicht zumindest in der Nebensaison im Herbst oder Frühling.
Wo Touristen sind, leidet die Qualität und es steigen die Preise. Venedig ist eine teure Stadt und das wohl zurecht. Wir glauben, dass die Stadt ihr Image als überlaufene Massentouristenstadt nur loswerden kann, wenn sie beispielsweise den Kreuzfahrttourismus massiv beschränkt und eventuell mehr auf Klasse als auf Masse setzt. Wie auch immer: Füllt euer Bankkonto auf, bevor ihr nach Venedig reist.
Damals waren wir als arme Studenten in Venedig. Allerdings konnte man 2013 noch für ein paar Euro mit Ryanair nach Italien fliegen. Auf jeden Fall sparten wir am Essen, wo es nur ging. Die wenigen Restaurants, die wir besuchten, lieferten ziemlich schlechte Qualität (dass man in Italien überall gute Pizza essen kann, stimmt definitiv nicht). Die Lasagne war klein und trocken, die Pizzen mager belegt. Unser Frühstück bestand oft aus Crêpes vom Waffelstand und Wein gab es in der Not auch mal aus dem Tetrapack vom Supermarkt (ja, gewiss eine Jugendsünde). Wir sind uns sicher, dass es in Venedig auch gute Restaurants gibt, aber die erwünschte Qualität hat mit Sicherheit ihren Preis.
Damals übernachteten wir in der Albergo Minerva e Nettuno. Eine Nacht kostet unter 100 Euro, dafür bekommt ihr ein leicht heruntergekommenes, sehr schlichtes, unpersönliches Zimmer ohne eigenes Bad. Dafür seid ihr nah am Bahnhof, doch weit vom Stadtzentrum entfernt (lässt sich aber laufen). Eigentlich können wir das Hotel nicht empfehlen, außer ihr sucht nach einer für Venedig günstigen Unterkunft.
Allgemein ist Venedig eine ziemlich sichere Stadt. Das größte Risiko besteht im üblichen Taschendiebstahl von Kleinkriminellen. Also gut auf eure Wertsachen aufpassen. Packt sie am besten eng an euren Körper oder noch besser: unter eure Jacke / unter das T-Shirt.
Puh, Venedig mit Kindern? Geht sicherlich und macht den Kindern vielleicht auch Spaß. Wir stellen uns das Ganze für die Eltern aber stressig vor: Kinder essen viel und wollen Souvenirs. Das kostet in Venedig schon mal etwas. Dann muss der Nachwuchs in dem Getümmel auch noch im Auge behalten werden … Mit Kinderwagen geht auch schon mal nicht – ständig müssen Brücken oder schmale Stellen passiert werden. Und schließlich sollte euer Kind Freude an Kirchen, Gondeln oder gothischen Bauwerken wie dem Dogenpalast haben.
Nach Venedig kommt ihr mit jedem erdenklichen Fortbewegungsmittel: dem Flugzeug (aber nicht direkt, ihr müsst dann noch mit dem Bus fahren), dem Zug, dem Reisebus oder dem Auto – damit jedoch nur bis zur Stadtpforte. Auf den Inseln Venedigs ist dann Laufen angesagt – oder ihr lasst euch für ziemlich viel Geld von einem Gondolieri durch die Kanäle rudern.
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