Serbien
Nachdem wir den Balkan intensiv bereist haben, fehlt uns noch ein Puzzleteil auf der Landkarte: Serbien. Doch auch, um ein tieferes Verständnis für die historischen Hintergründe des Balkankrieges und die heute noch immer bestehenden tiefen Gräben zu entwickeln, ist die Reise in das Herz des untergegangenen Jugoslawiens unerlässlich. Noch bis vor einigen Jahren, ja vielleicht sogar bis heute, klammert sich Serbien an den längst ergrauten und verfallenen Traum eines geeinten Reiches unter serbischer Herrschaft. Jugoslawien zerfiel in einzelne unabhängige Staaten, zuletzt spalteten sich Montenegro im Jahr 2006 und Kosovo in einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 von Serbien ab.
Das Dachzelt auf dem Auto, Gepäck auf der Ladefläche, alles dabei, um zwei, drei Tage autark zu sein. Auf dem Reiseplan stehen Städte und Natur gleichermaßen. Unsere Köpfe sind gefüllt mit Erwartungen: schroffe Berge, Serpentinenstraßen, Nationalparks mit Bären und Wölfen, gastfreundliche Menschen und ein dunkler Nationalismus. Was davon wird sich bewahrheiten?
An diesem heißen Augustnachmittag ist die Fußgängerzone von Novi Sad gespenstisch still. Popcornstände sind verschlossen, in nur wenigen Cafés hängen eine handvoll Männer herum und die wenigen Passanten drängen sich im Schatten der Häuser. Ein Tanklaster ist auf dem Marktplatz abgestellt – aus einem Hahn lässt sich kühles Trinkwasser zapfen. Das Stadttheater ist ein alter Kommunistenbau, das Rathaus erinnert an eine lange vergangene Ära im vorletzten Jahrhundert. Vor der Synagoge: ein offenes Tor, kein Polizeischutz, keine Schmierereien. Im Stadtpark: eine weitläufige, verdorrte Grasfläche. Plastiktüten, die im Teich treiben. Eine tote Ente am Ufer. Am Spielplatz treffen wir eine junge Familie. Sie stammt ursprünglich aus einem der anderen Balkanländer, ist aber wegen der beruflichen Perspektive nach Serbien gezogen. Der Vater erzählt uns vom Hass und der Ablehnung, die die einzelnen Ethnien noch immer gegeneinander hegen.
Als es dämmert, füllt sich die Stadt mit Leben. Die Cafés sind nun bis auf den letzten Platz besetzt. Rauchende Männer traben vorüber, lachende Teenager in den Seitengassen. Kinder quetschen sich zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch. Bunte Lichter, Verkleidungskünstler und fahrende Spielautos. Eine Rosenverkäuferin, ein Schlagzeuger. Ein paar Dinar in seinen alten Hut.
Auf der anderen Seite der Donau liegt die Festung von Novi Sad auf einem Hügel. Einst größte Festung in Europa, war sie unter anderem zur Verteidigung vor dem osmanischen Reich errichtet worden. Heute ist die Anlage ein Ort für Museen, Kunstateliers, Restaurants und Musik. Von hier oben überblicken wir die gesamte Stadt: die leerstehenden Industriehallen im Norden, der kleine Streifen Strand im Südosten, die grauen Wohnsiedlungen im Stadtkern. Dazwischen ragen Kirchturmspitzen und moderne Glasfassaden auf.
Einmal im Jahr kommen partywütige Menschen hier zum Exit-Festival zusammen. Exit, das könnte für den Ausgang aus einer alten Ära stehen, das Brechen mit selten hinterfragten Traditionen und blindem Geschichtsglauben. Exit ist das kosmopolitische Serbien, das eine Zukunft in der Mitte Europas haben könnte.
Draußen sind es über 40° Celsius. Die Landschaft ist gelb-verdorrt. Karge Büsche und ein paar Bäume, die für diese Hitze gemacht zu sein scheinen. Im Winter kann es hier bitterkalt werden.
Am Wegesrand liegt eine orthodoxe Kirche. Sie ist erst vor Kurzem eröffnet worden. Keiner von uns ist der strengen Kleidungsordnung angemessen angezogen, um hineingehen zu dürfen. Ein grimmiger Torwächter mustert uns mit ausdrucksloser Mimik. Er gibt uns zu verstehen, dass wir einen raschen Blick ins Innere der Kirche werfen können.
Wir fahren weiter und erreichen bald ein wunderschönes Restaurant. Große, knorrige Bäume spannen ihre Kronen über uns und spenden etwas Schatten. Auf einer ausladenden Veranda sind einfache Holztische und Stühle verteilt. Es gibt ein schweres, deftiges Mittagsmahl vom Grill. Im Hintergrund schleichen Pfaue den Zaun entlang und spielen Katzen in der staubigen Erde.
Wir haben uns auf einem Campingplatz in Novi Belgrad einquartiert. Alte, baufällige Wohnblöcke stehen hier neben modernen Neubauten. Vielspurige Straßen zerschneiden die Viertel, viele Baulücken lassen Platz für Kommendes. Ein Stadtviertel im Sterben, zugleich ein Stadtviertel im Auftrieb. Der Nachmittag ist heiß und wir wollen ans Wasser. Also fahren wir zur Flussinsel Ada Ciganlija und genießen das kühle Nasse der Save. Der Strand hier ist kein Geheimtipp, wir teilen ihn mit vielen Einheimischen, die ebenfalls der Hitze entfliehen wollen. Auch wenn der Strand steinig ist, locken Eis, Bier und gebratenes Fleisch überall. Die Parkflächen sind riesig, der Ansturm an Menschen ist es ebenfalls. Im Schatten einiger Platanen sitzen Männer und spielen Dame.
Der nächste Tag ist nicht weniger heiß, doch heute steht Sightseeing auf dem Programm. Und so schlendern wir durch Belgrads Zentrum, das szenische Kneipenviertel und den Kalemegdan Park mit Fort. Am Platz der Republik ist ein trotziger Spruch in riesigen Buchstaben auf die Fassade eines Hauses gesprüht: „Es gab nur einen Völkermord im Balkan – an den Serben.“ Diese Aussage lässt uns ratlos zurück.
Nach dem Mittagessen gelangen wir an die Waterfront – Kräne, Bagger und Arbeiter schaffen hier ein neues Prestigeviertel mit Boutiquen und schicken Restaurants. Im Dom des Heiligen Sava riecht es nach Weihrauch und Vergangenheit. Kühler Stein und Männer im schwarzen Talar. Die Leute sagen, Belgrad sei eine hässliche Stadt. Geprägt vom kalten Sozialismus und Beton. Wenig Grün, wenige Orte zum Durchatmen. Das Leben in Belgrad finde in den Hinterhöfen statt. Dort gebe es kleine Restaurants und Bars, Partys und die wirklichen Diamanten. Aber, so sagen die Leute, Belgrad lernst du nicht an einem Tag kennen, du musst tief in die Stadt eintauchen, um ihr etwas abgewinnen zu können.
Unsere Route führt uns südlicher nach Niš. Die beschauliche Stadt ist das kulturelle Zentrum Serbiens. Gerade in den Sommermonaten finden hier zahlreiche Musikveranstaltungen und Konzerte statt, wie das Nišville Jazzfestival. Als wir die Stadt erreichen, werden im Park des Forts von Niš Bühnen und Essensstände errichtet. Erste Soundchecks finden hinter eilig aufgestellten Sichtschutzwänden statt. Am Abend wird alles erfüllt sein von den synkopischen Beats der Schlagzeuge, den sanften Disharmonien der Gitarren und den schrägen Bendings der Saxophone.
Die Stadt selbst ist unspektakulär. Wir sehen den immer gleichen Mix an sozialistischen Betonbauten, die dem endgültigen Zerfall entgegengehen, und unpersönlichen Glas-Beton-Stahl-Konstrukten, die Büroräume und Showrooms beinhalten. Orthodoxe Kirchen, ein zentraler Platz voller Leben – das Herz der Stadt. Eine Fußgängerzone mit Cafés und Restaurants. Die Serben, wie die Bewohner des Balkans im Allgemeinen, lieben alles Gesellige. Sie kommen in großen Gruppen, bringen Familie, Verwandte und Freunde mit. Genießen ihre Zeit bei Bier und Zigaretten. Die Kinder spielen, die Erwachsenen lachen. Das Leben pulsiert und die Stadt atmet.
Im Osten der Stadt liegt der Ćele Kula, ein Turm aus Schädeln. Heute steht er im Inneren einer kleinen Kapelle, eine Vielzahl von Schädeln wurden über die Jahrhunderte aus dem Mörtel herausgebrochen. Als sich 1809 einige serbische Rebellen gegen die osmanischen Besetzer zur Wehr setzten, wurden sie getötet und aus ihren Köpfen dieser Turm erbaut. Den Osmanen ging es dabei wohl darum, ein abschreckendes Zeichen zu setzen und den Gegner zu erniedrigen. Auf Tafeln am Turm selbst gestaltet sich die Geschichte heroischer: Der Nationalheld Stevan Sinđelić entfachte den Vorrat an Schießpulver und brachte ihn so zur Explosion, nachdem seine Armee vernichtend dezimiert worden war. Damit riss er seine Soldaten und einige osmanische Besetzer mit in den Tod. Auch der Schädelturm an sich wird umgedeutet. So ist er kein erniedrigendes Mahnmal mehr, sondern ein Denkmal dieser heroischen Tat.
Überall im Land begegnen wir einer Geschichtsleugnung und -umkehrung. Das grausame Massaker an den Bosniaken bei Srebrenica wird geleugnet, die NATO als Aggressor dargestellt, die Serbien aus der Luft angegriffen und so viele Opfer verursacht hat. Darüber hinaus sieht man sich selbst als Opfer einer ethnischen Auslöschung, vorangetrieben durch den alliierten Westen. Es sind diese Lügen und Erzählungen, die den Balkan heute noch immer tief spalten.
In den Wäldern Südserbiens, dicht an der kosovarischen Grenze, liegt ein geheimnisvolles Tal. Rotes Wasser sprudelt aus der Erde. Am Ende des Tals ragt eine sandfarbene Felswand in den Himmel. Sonderbar geformte Steinpyramiden, große wie kleine, erheben sich davor. Der Teufel treibe hier sein Unwesen, besagen alte Mythen. Feen bewohnten die Wälder und trieben Schabernack. Nachts höre man die Hammerschläge der einstigen Minenarbeiter durch das Tal hallen. Eine einsame Kirche, aus Holz errichtet, ist der einzige Wall gegen das Teuflische. Ein heiliger Ort, eine sichere Zuflucht.
Als wir Devil’s Town durchschreiten, begegnen wir nichts Teuflischem. Die Sonne scheint, Familien mit Kindern wandern im Schatten der Bäume und im angrenzenden Restaurant gibt es Eis und kaltes Bier. Das rote Wasser ist gefärbt durch das Eisen im Boden. Einst kamen sächsische Minenarbeiter in diese Region und förderten Eisen, Kupfer und Aluminium.
Es ist später Nachmittag, als wir Devil’s Town verlassen. Wir folgen einer einsamen Landstraße entlang der Grenze zum Kosovo. Die Gegend ist dünn besiedelt, es begegnen uns nur wenige Autos und Menschen. Eine steile, ausgewaschene Piste geht plötzlich von der Straße ab. Eine große Verlockung und vielleicht eine Chance, einen geschützten Platz für die Nacht zu finden. Erst kundschaften wir den Weg zu Fuß aus, dann beschließen wir, es mit Herrn Lux zu versuchen. Im Kriechgang wühlen wir uns nach oben und entdecken ein Brombeerfeld am Rand eines Waldes. Ein himmlischer Ort für eine Nacht im Dachzelt.
Abends steht ein fast voller Mond über uns. Das Gebell von Hunden aus einem nahegelegenen Dorf hallt als gespenstisches Echo durch das Tal. Irgendwann gegen Mitternacht verstummt es und es kehrt friedliche Ruhe ein.
Nach einer ruhigen Nacht verlassen wir unsere Campingstelle. Kurz vor unserem Aufbruch kommt der Besitzer der Brombeerfelder vorbei. Er wirft einen neugierigen Blick auf unser Auto mit Dachzelt. Dann breitet er seine Arme aus: „Was ein schönes Stück Land, oder?“, fragt er uns in gebrochenem Englisch.
Wir fahren in den Kopaonik National Park, nehmen eine staubige Piste und finden uns auf einmal in einer idyllischen Bergwelt wieder. Steppengras und Bergkräuter. Skilifte an den Berghängen, immer wieder passieren wir riesige Wintersporthotels. Auch im Sommer ist hier eine Menge los: Mountainbiker, Quad- und Motorradfahrer und natürlich Wanderer. Ein unheimlich schönes Stück Natur, doch zu touristisch, um ein weiteres Plätzchen für die Nacht zu finden. Es ist nicht einmal Mittag, also entschließen wir uns, weiterzufahren.
Am Nachmittag gelangen wir in den fast viermal so großen Golija Nationalpark weiter westlich. Hier soll es Wölfe und Bären geben, außerdem viele weitere seltene Tier- und Pflanzenarten. Wir machen eine kleine Wanderung, begegnen Kuhherden im Wald und Spuren von Wildschweinen an einer Lichtung. Als es in den Abend über geht, finden wir einen abgelegenen, weitläufigen Bergrücken. Ein kalter Wind weht uns um die Ohren, doch die Stille und Ruhe sind Balsam für die Seele. Diese Erfahrung kann uns kein Hotel, kein Campingplatz und kein Airbnb geben.
Nachdem am letzten Abend ein feiner Regen auf uns niedergegangen war – der erste seit Wochen – beginnt der nächste Tag mit bestem Sonnenschein. Wir brechen auf nach Krstac und folgen von dort einem ausgespülten Weg. An einer Kreuzung müssen wir dicht an geparkten SUVs vorbei manövrieren – für sie ging es hier nicht mehr weiter. Für unseren Herrn Lux beginnt der Spaß erst.
Nach etwa 30 Minuten gelangen wir an einen kleinen Bauernhof. Etwa 500 Meter weiter eröffnet sich uns ein herrlicher Weitblick: Wie eine endlose Schlange hat sich der Uvac-Fluss durch den Stein gegraben und mäandert. Grünblau glitzert sein Wasser in der Mittagssonne. Wir schließen die Augen und genießen den Moment. Bisher hat sich Serbien in so einer Vielfalt gezeigt, dass wir sie noch nicht verdaut haben. Es sind keine großen Highlights und Superlative, denen wir begegnet sind. Sondern immer wieder eine schlichte, rustikale und natürliche Schönheit des Landes.
Wir umrunden den Uvac-Canyon, vorbei an Wäldern, kleinen Ortschaften und einer offenen Mülldeponie. Der Wind hat Plastik verweht – Tüten hängen in den Bäumen und Coladosen liegen im Straßengraben. Auch das ist Serbien: ein Land in der Selbstfindung, magisch angezogen von Russland und China, kritisch gegenüber dem demokratischen Westen, lasche Naturschutzgesetze und hohe Korruption.
Ein kleiner Bauernhof in den Bergen: Birnenbäume, Nadelgehölz und Schafsherden. Ein Spaziergang führt uns hinab ins Tal an den Uvac-Fluss, der hier eingestaut wurde und so einen kleinen See gebildet hat. Ausflugs- und Fischerboote liegen am Ufer, Ferienhäuser stehen in sicherer Entfernung, falls der Wasserpegel einmal steigen sollte. Es ist nur wenig los an diesem Sommertag. Im Osten grollt Donner, die Temperaturen sind schlagartig gefallen. Am Abend gibt es selbstgebrannten Zwetschgen-Rakija. Blitze zucken am Horizont – das Gewitter wird glücklicherweise an uns vorüberziehen.
Das Ende unserer Serbienreise steht kurz bevor. Richtung Nordosten durchqueren wir Skigebiete und Urlaubsorte, bevor wir den Tara-Nationalpark erreichen. Eine erste Wanderung führt uns an die nördliche Grenze zu Bosnien und Herzegowina. Der Fluss Drina fließt tief unter uns und bildet hier die Grenze zwischen den beiden Ländern. Eine Staumauer hat ihn zu einem kleinen See anschwellen lassen. Der Blick auf das saphirblaue Wasser wird eingerahmt von Kiefern, sodass ein unwirkliches Postkartenmotiv entsteht. Das Wetter ist gut, die Sicht klar und weit.
Wir essen zu Mittag in Mitrovac, dem touristischen Dreh- und Angelpunkt des Nationalparks. Danach fahren wir noch einmal tiefer in das Herz dieses riesigen Waldes, in dem es eine Vielzahl von Bären gibt. Wieder einmal gelangen wir dank Herrn Lux an eine einsame Stelle am Ufer des Zaovine-Sees. Am Berghang über uns liegt eine zerstörte Ansiedlung von Ferienhäusern. Ein Erdrutsch hat Häuser, Telefonmasten und Straßen unter sich begraben. Ein letzter Sprung in serbisches Gewässer, bevor die zurückgekehrte Sonne dieses Sommertages unsere Haut trocknet.
Den letzten Abend ließen wir mit einem typisch serbischen Essen in einem rustikalen Wirtshaus ausklingen. Nun stehen wir im Grenzort Bajina Bašta im Supermarkt, um noch Wasser und frisches Obst für den Tag einzukaufen. Dann fahren wir hinüber nach Bosnien und Herzegowina. An der Grenze ist nicht viel los, einmal Kofferraum öffnen, einmal den Kasten auf unserem Dach erklären (ja, das ist ein Dachzelt), dann dürfen wir passieren. In den letzten zehn Tagen haben wir viele Facetten von Serbien gesehen. Eine Hauptstadt zwischen Aufbruch und Vergangenheit, kleine Provinzhauptstädte mit ganz eigenem Charme. Wir sind das Tal des Teufels durchwandert und haben in ungezähmter Natur übernachtet. Die Gespräche und Begegnungen mit den Menschen haben unsere Perspektive geschärft und lassen uns zweifelnd-ratlos zurück. So viele Gräben und scheinbar unüberquerbare Linien laufen durch die Gesellschaft und Ethnien des Balkans, so viel Hass und Ablehnung sind tief verwurzelt. Ein Geflecht aus Lügen, Mythen und Unwissenheit hält diese dunkle Maschine am Laufen. Wie so viele Staaten steht auch Serbien am Scheideweg – soll es sich nach Osten oder Westen orientieren? In welche Richtung wirst du gehen, Serbien?
Infos zu unserer Reise
Serbien hat gemischte Gefühle bei uns hinterlassen. Einerseits hat das Land viel Kultur und Geschichte zu bieten: Alte Forts, eine interessante Mischung an Architektur und hochbrisante, politisch-historische Spuren, denen man folgen und sie erforschen kann. Auch die Natur Serbiens hat seine Reize und macht einen Roadtrip gerade für Overlander und Offroader attraktiv. Der Norden Serbiens ist eher flach und von kargem Gebüsch geprägt. Zum Süden und Westen hin ist die Landschaft von Flüssen, Canyons und dichten Wäldern überzogen. An Abwechslung wird es also nicht mangeln. Doch drei Punkte störten uns massiv an dem eigentlich schönen Land:
- Das Verhältnis zur Geschichte und jüngsten Vergangenheit: Macht euch am besten ein eigenes Bild davon, doch wenn ihr etwas Interesse an Politik und Geschichte habt, werden euch die Haare zu Berge stehen, wenn ihr tiefer in die serbische „Geschichtsdeutung“ eintaucht. Wir haben Serbien als sehr nationalistischen und konservativen Staat wahrgenommen. Leider ist das Verhältnis zu den Nachbarländern (insbesondere dem Kosovo und Bosnien) immer noch nicht wirklich gut. Auch in der Bevölkerung scheint es noch immer viele Vorurteile gegenüber bestimmten Ethnien zu geben.
- Es wird geraucht – immer und überall. Deswegen empfehlen wir einen Serbienaufenthalt nur im Sommer, wenn ihr im Restaurant nicht unbedingt drinnen sitzen müsst. Leider hatten wir auch das ein oder andere Hotelzimmer, das nach Rauch stank (obwohl es dort in der Regel verboten ist zu rauchen).
- Fleisch, Fleisch und Fleisch. Als Vegetarier oder Veganer bleiben nur Brot, Pommes und gegrilltes Gemüse für euch. Aber das sind wir eigentlich schon von Reisen aus dem Nahen Osten gewohnt.
Für den einen werden diese drei Punkte nicht der Rede wert sein. Für den anderen, so wie uns, haben sie unseren Aufenthalt im Land etwas getrübt. Zum Glück hatten wir alles dabei, um selbst zu kochen und das Wetter war eigentlich immer so gut, dass wir uns rauchfrei draußen aufhalten konnten.
Zehn Tage solltet ihr für eine kleine Rundreise mindestens einplanen. Ideal sind zwei bis drei Wochen, wenn ihr richtig in die Natur eintauchen wollt. Auch im Osten des Landes soll es sehr schöne Nationalparks und Offroadmöglichkeiten geben, die wir auf dieser Reise nicht ansteuern konnten.
Serbien ist ein erschwingliches Reiseziel, ideal für Reisende mit kleinem bis mittlerem Budget. Die Lebenshaltungskosten sind niedriger als in Westeuropa und auch in großen Städten wie Belgrad oder Novi Sad sind Unterkünfte, Essen und Aktivitäten relativ preisgünstig. Einfache Mahlzeiten in traditionellen Restaurants (Kafanas) sind preiswert, und für wenig Geld lassen sich serbische Spezialitäten genießen. Auch Aktivitäten und Eintrittspreise zu Museen oder Sehenswürdigkeiten kosten in der Regel nicht viel. Der höchste Kostenfaktor sind wohl die An- und Abreise bzw. Spritkosten (wir fuhren etwa 3.000-3.500 km nach Serbien und zurück).
Wie bereits erwähnt, steht vor allem gegrilltes Fleisch auf der Speisekarte. Die serbische Küche ist herzhaft und unterscheidet sich nur in Details von den Kochkünsten der Nachbarländer. Beliebte Gerichte sind Ćevapi, kleine gegrillte Hackfleischwürste, die oft mit Zwiebeln und Brot serviert werden, und Pljeskavica, eine Art großer Hackfleischburger. Ein Muss ist auch Sarma – mit Reis und Fleisch gefüllte Kohlrouladen. Zum Essen gehören meist frisches Brot und Beilagen wie Ajvar, ein Paprika-Auberginen-Aufstrich. Traditioneller Rakija (Obstbrand) gehört eigentlich immer dazu – auch wenn nicht gegessen wird. Als Vegetarier könnt ihr euch an Brot und gegrilltes Gemüse halten. Dafür kommt ihr recht günstig davon: für 10-15 Euro pro Person solltet ihr eine wirklich mehr als reichhaltige Mahlzeit bekommen. Ein schönes Etno-Restaurant mit Tieren und authentischem Essen findet ihr auf dem Weg von Novi Sad nach Belgrad: Salaš Mali Park.
Beachtet, dass in fast allen Restaurants geraucht wird. Selbst wenn es Nichtraucherbereiche gibt, werden diese nicht allzu ernst genommen und es steht die Tür zum angrenzenden Raucherzimmer weit offen.
Die Spanne von Unterkünften reicht von etwa 40 Euro in kleinen Ortschaften bis zu 70 Euro in größeren Städten – für dieses Geld solltet ihr eine nette und saubere Unterkunft finden. In Belgrad kosten die Zimmer etwas mehr. Insbesondere in den Nationalparks und Skigebieten könnt ihr euch schöne Holzhütten mieten, die Ausstattung reicht von simpel bis luxuriös. Wir schätzen, dass die Schneewahrscheinlichkeit bspw. im Tara-Nationalpark im Winter ziemlich hoch ist, sodass der Traum von einer einsamen Berghütte im Winterwunderland hier gut umsetzbar sein dürfte – und zwar zu wesentlich geringeren Kosten als in Österreich oder Deutschland.
Ansonsten sind auch privat-vermietete Apartments weit verbreitet und wenn das alles nichts für euch ist, habt ihr immer noch die Möglichkeit, wild zu zelten. Das ist in Serbien zwar offiziell nicht erlaubt, wird aber in der Regel toleriert. Wie immer achtet aber penibelst darauf, euren Campingplatz am nächsten Tag idealerweise sauberer zu verlassen, als ihr ihn vorgefunden habt.
Serbien ist im Allgemeinen ein sicheres Reiseland. Die Kriminalitätsrate ist niedrig, und Gewaltverbrechen gegen Touristen sind selten. Die politische Lage ist stabil, jedoch können gelegentlich Demonstrationen stattfinden, vor allem in Belgrad. Auch die Grenzregion zum Kosovo kann von Unruhen betroffen sein. Der Straßenverkehr erfordert Aufmerksamkeit, da die Fahrweise oft deutlich riskanter ist als in Westeuropa. In den Bergen kann es zu plötzlichen Unwettern und Erdrutschen kommen, Erdbeben sind ebenfalls nicht auszuschließen. Bei Aufenthalten in der Natur achtet auf wilde Tiere – bleibt fern von Wildschweinen und verwahrt Nahrungsmittel in den Nationalparks sicher vor Bären auf.
Die Serben sind bekannt für ihre große Kinderfreundlichkeit und Gastfreundschaft. Familien mit Kindern werden überall herzlich willkommen geheißen und es ist üblich, dass Kinder besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten. Restaurants bieten oft kinderfreundliche Gerichte an und viele Cafés sowie Parks haben Spielplätze oder Freiflächen zum Spielen. Oft sind diese aber in einem schlechten Zustand. Öffentliche Toiletten oder gar Wickelräume sucht ihr in aller Regel vergebens, selbst Restaurants halten selten Wickelmöglichkeiten vor – meistens sind die Toiletten dort sowieso in einem ungepflegten Zustand. Außerdem kann der Aufenthalt in öffentlichen Innenräumen (vor allem Restaurants) dadurch stark beeinträchtigt sein, dass in einem hohen Maße geraucht wird. Für uns ein No-Go!
Städte wie Niš, Novi Sad oder Novi Pazar erkundet ihr am besten zu Fuß. In Belgrad sind die Sehenswürdigkeiten weiträumiger verteilt, dennoch könnt ihr – wenn ihr gut in Form seid – auch hier alles zu Fuß ablaufen. Alternativ gibt es auch Busse. Das Land selbst erkundet ihr am besten mit dem eigenen (Miet-)Wagen. Es sollte nicht unbedingt ein tiefergelegter Sportwagen sein, ansonsten sind die Straßen aber in einem guten Zustand. Falls ihr in die kleineren Ortschaften oder auch zu Aussichtspunkten fahren wollt, solltet ihr das mindestens mit einem SUV tun. Die meisten Wege schafft auch ein normales Auto (wie die Serben gerne beweisen), gut für das Material ist es aber gewiss nicht. Beachtet, dass manche Autobahnen Mautstellen bei der Abfahrt haben.
Offroadfahren: Serbien ist ein kleines Paradies für Offroadfahrer. Es gibt umheimlich schöne Schotterstraßen, die durchaus auch plötzlich anspruchsvoller werden können. Wir haben es sehr genossen, auf unebenen Pfaden die Natur zu erkunden und abends die besten Spots zum Campieren zu finden. Tatsächlich hat uns diese Seite von Serbien weitaus mehr begeistert als die Städte und Menschen.
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