Österreich

Österreich ist den einen das bessere Deutschland, den anderen ein eigenwilliges Land in den Bergen. Vielerorts fühlt man sich, wie in einen Heimatfilm hineingeworfen. Kirchtürme im Zwiebellook, stilprägende Bauten im schönsten Architekturmix, Essen wie auf der Alm und überhaupt die Berge, die sich außer in Wien fast überall im Hintergrund am Horizont tummeln. Es ist kaum möglich, sich von den Klischees einer heilen, montanen Welt zu befreien, ehe man nach Österreich fährt. Die Wahrheit ist: Österreich lebt von diesen Klischees. Mozart, Sissi, Hundertwasser, Falco, Berge, Kaiserschmarrn und Wiener Klassik. All das ist Staatskultur, all das ist untrennbar mit Österreich verbunden. Und all das wird vermarktet und ausgeschlachtet. 

Pfarrkirche Leiblfing

Auf der Durchreise nach Serbien legen wir einen Zwischenstopp am Neusiedler-See ein. Ein riesiger Campingplatz, ein Steinstrand, verdorrte Wiesen und Rasengitter. In Podersdorf stehen die Touristen Schlange vor der Eisdiele. Zwar gibt es noch einen bewohnten Ortskern und echtes Leben, doch die meisten Häuser, an denen wir vorbeispazieren, sind Ferienhütten. 

Auf dem Campingplatz herrscht das übliche Treiben des kapitalistischen Kommunismus. Jeder hat die gleiche Parzelle, jeder hat die gleichen Sanitäranlagen, jeder genießt den gleichen Blick auf den See. Doch manche sind eben gleicher als andere, denn jeder „campt“ auf seine eigene Weise. Wir im spartanischen Dachzelt. Jugendliche in kleinen Bodenzelten, Hauptsache der Wein fließt. Familien in ausgebauten Vans und Rentner in tonnenschweren Luxuscampern. Den Sonnenuntergang begleiten die Rufe von spielenden Kindern und Musik aus kleinen Bluetoothboxen. Eine allgemeingültige Definition von Urlaub gibt es nicht.

Camping At Neusiedler-See
Camping At Neusiedler-See

Auf den ersten Blick kommt Wien als spießige Kaffee-Stadt daher. Schlösser, Sachertorte und Konditoreien, verstaubte Monarchien und gähnende Geschichtsstunden – das ideale Ausflugsziel für eine Busreise von pensionierten Lehrkräften. Aber spätestens nach einem Tag präsentiert sich Wien durchaus als moderne, manchmal hippe, Stadt. Ein Blick über Neobarock, Renaissance und Jugendstil hinweg zeigt mutige, avantgardistische Architektur. Kleine Gassen und Hinterhöfe bieten Jugend- und Subkultur. Die Rand- und Wohnbezirke geben Einblick in gestaltende Stadtplanung und experimentelle Raumkonzepte. Und schon wird klar, dass Wien genau deswegen so gut gefällt. Es verweigert sich der gehetzten Großstadtmentalität und setzt stattdessen auf klassische Kaffeehäuser, die eine sehnsuchtsvolle Gemütlichkeit ausstrahlen.

Hier passiert es.
mumok in Vienna
Street in Vienna
Street in Vienna
Statue in Vienna
Fountain in Vienna

Schon in seiner Gesamtheit mag das Gebäudeensemble Wiens beeindrucken. Die Details und die kleinen Szenen abseits der großen Plätze und imposanten Hallen sind es jedoch, die Geschichten erzählen. In Stein gehauene griechische Mythen vor der Hofreitschule. Das Ehepaar in der Kutsche, das die Blicke hinter großen Luxussonnenbrillen verbirgt und gekünstelt desinteressiert den Blick schweifen lässt. Die Göttin der Weisheit vor dem österreichischen Parlament, dem sie den Rücken zukehrt. Die Amerikanerin am Schloss Schönbrunn, die kaum Worte findet im Angesicht all dieses Pomps und steingewordener Leidenschaft. Steine erzählen, was sein soll. Menschen erzählen, was ist. So ist es ein Genuss, sich von einer Szenerie in die nächste treiben zu lassen und den Gesprächen der Menschen zu lauschen – auf jeden von ihnen entfaltet Wien seine ganz eigene Wirkung.

Statue at the Riding School in Vienna
Statue in Vienna
Carriage in Vienna

In der Kegelgasse hat sich eine Traube von Menschen gebildet. Sie recken die Köpfe empor, sitzen am Rand eines Brunnens oder stehen in Gruppen zusammen, um ein Schwätzchen zu halten. Die Straße entlang des von Hundertwasser entworfenen Hauses ist gefüllt mit Leben. Das Haus selbst – genau genommen ist es ein Wohnblock – ist bunt bemalt und bedient sich allen geometrischen Formen. Klare Linien und Kanten sind kaum zu sehen. Kleine Details und die wunderbar begrünte Fassade sowie bepflanzte Dachflächen bringen Natur, Kunst, Menschsein und Stadt zusammen. Der Künstler Friedensreich Hundertwasser starb im Jahr 2000 an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Das Hundertwasserhaus ist gleichfalls in die Jahre gekommen. Der Putz bröckelt und die Farben sind ergraut. Ein sterbendes Projekt?

Hundertwasser House in Vienna
Fountain Nearby the Hundertwasser House

Wir fahren hinaus nach Hietzing, einem westlichen Stadtteil am Rande von Wien. Wir müssen lediglich den Strömen von Besuchern von der U-Bahn folgen, um zum Schloss Schönbrunn zu gelangen. Der Zugang zu den Außenanlagen dieser kaiserlichen Sommerresidenz ist völlig kostenlos. Das nutzen wir aus und schlendern gemütlich die langen Pfade des Parks entlang.

Alles erstrahlt in ausgeklügelter Symmetrie. Die Architektur ist auf Sichtachsen ausgelegt. Perspektive, Panoramen, Harmonie, Spiegelungen und schiere Imposanz. Jeder Baum, jede Blüte scheint geplant und zielgerichtet in das Arrangement eingefügt. Vom Hügel der Gloriette aus haben wir einen wunderbaren Blick auf West-Wien. Die Schlossallee führt gen Horizont, die Bäume sind sorgfältig gestutzt, sodass diese Sichtachse von nichts durchbrochen wird.

Schloss Schönbrunn in Vienna
Schloss Schönbrunn in Vienna
Schloss Schönbrunn in Vienna
Schloss Schönbrunn in Vienna

Am späten Nachmittag erreichen wir den Prater. Schon von Weitem sehen wir das Kettenkarussell und hören die Schreie der Geschwindigkeitsjunkies. Die Schatten werden weicher, das Licht sanfter – ein Traum für jeden Fotografen. Motive bieten sich an jeder Ecke an. Überall blinkt es, Gestalten und Kostüme, Farben und Menschen, Szenen aus dem Alltag, Gefühle und erste Dates, Zuckerwatte und Kinderträume. Schnell den Akku der Kamera wechseln, dann geht es zum Geisterhaus. Die Achterbahn stürzt in die Tiefe und im Spiegelkabinett findet ein wunderbares Spiel mit Licht und Reflexion statt. Der Prater ist unser persönliches Highlight des Wientrips. Er ist genau so eine Welt der Illusion, wie es die verspielten Bauten der Wiener Innenstadt oder Schloss Schönbrunn sind. Nur ist diese Illusion hier komprimiert auf wenige Buden und Fahrgeschäfte.

At the Prater in Vienna
At the Prater in Vienna
At the Prater in Vienna
At the Prater in Vienna
At the Prater in Vienna
At the Prater in Vienna

Raus aus der Stadt, vorbei an Innsbruck und Übernachtung an einem Campingplatz bei Zirl. Wir sind umgeben von bewaldeten Hügeln, dahinter tun sich steile Wände aus Bergmassiv auf. Am Nachmittag braut sich ein Sturm zusammen. Lilafarbene Gewitterwolken ziehen über die Felsen. Kein Donner, kein Regen. Dafür Wind und Wetterleuchten. Die Fenster unseres Dachzeltes sind verschlossen, zusätzliche Sturmleinen im Boden verankert. Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne mit zärtlichen Strahlen. 

Wir entschließen uns zu einer kleinen Halbtageswanderung. Etwa zehn Kilometer durch die umliegenden Ortschaften, nur bepackt mit schlafendem Baby und Kamerarucksack. Der Inn hat hier ein mächtiges Tal gebildet. Schnell fließt sein Wasser, es ist eisblau. Sommerwiesen stehen im zarten Grün, Felder sind abgeerntet.

Church in Zirl
Hiking in Frastanz
Pfarrkirche Leiblfing
Domino's Pizza and Kebap in Frastanz

Eine Nacht in Frastanz, bevor wir Österreich verlassen. Am Ortsausgang ist Domino’s Pizza & Kebap – ein rotes Wellblechhäuschen, das sich hervorragend vor der grün-blauen Bergwelt abzeichnet. Nach dem Frühstück spazieren wir durch das Dorf und einen kleinen Feldweg entlang. Anwohner mustern uns und grüßen mürrisch. Noch einen Verlängerten in der Bäckerei, dann geht es auf die Autobahn. Nächstes Mal kommen wir allein wegen der Berge.

Infos zu unserer Reise