Niederlande
Ein langes Wochenende Anfang Oktober. Ein paar Tage frei. Draußen: Goldener Herbst mit strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Drinnen: Uns packt die Reiselust. Noch einmal weg, bevor der lange Winter über uns hereinbricht. Einmal das Budget überschlagen, Google Maps befragt und die Wetteraussichten geprüft. Unser Reiseziel: Die Niederlande. Wie immer wollen wir möglichst viel möglichst günstig sehen. Dieses Mal ist die Herausforderung besonders groß. Ein ganzes Land in nicht einmal vier Tagen mit einem niedrigen dreistelligen Budget bereisen – geht das?
Chris hat noch nie einen Fuß in das Nachbarland Deutschlands gesetzt. Vanys einzige Reise dorthin ging nach Amsterdam und liegt nun auch schon fünfzehn Jahre zurück. Die Anreise ist nicht allzu weit, die Wetteraussichten sind gut. Los geht es!
Auf deutschen Autobahnen manövrieren wir uns am späten Nachmittag durch Stau und Berufsverkehr am Ruhrpott vorbei. Die Grenze in die Niederlande passieren wir auf einer kleinen Landstraße. Es ist bereits dunkel geworden und die Temperaturen einstellig. Wir übernachten auf einem wunderschönen Campingplatz auf einer weitläufigen Wiese. Neben uns ist nur ein einziger anderer Camper dort. Gerne hätten wir diese Einsamkeit bei sommerlichen Temperaturen und einem Glas Wein vor dem Dachzelt genossen. Stattdessen heißt es: Zwiebellook, Wärmeflaschen und ab in den Schlafsack.
Der erste Morgen. Zum Frühstücken fahren wir nach Doesburg und sind sofort begeistert von dieser charmanten Kleinstadt. Süße Backsteinhäuser, verschlafene Gassen, gutgelaunte Freundlichkeit und idyllische Flussschleifen, die sich um das Städtchen winden. Dahinter grüne Wiesen und Milchkühe. Über allem stehen ein blauer Himmel und eine wärmende Herbstsonne.
Nächster Halt ist die Studentenstadt Utrecht. Während in deutschen Städten um jeden Fahrradweg politisierte Debatten geführt werden und es dann auf einen Kompromiss hinausläuft, der weder Auto- noch Zweiradfahrern gerecht wird, beweist Utrecht ohne großes Aufsehen, wie die Verkehrswende im Kleinen gelingen kann. Breite Fahrradwege lassen den Verkehrsraum für PKW auf eine schmale Spur schrumpfen, teure Parkplätze verdrängen Dauerparker und Fahrradstraßen bringen Entschleunigung und ruhige Rückzugsorte für die Anwohner. Insgesamt gewinnt die Stadt an Lebensqualität. Die Innenstadt wird von den für die Niederlande typischen Kanälen durchzogen. Um sie herum haben sich Bars, Restaurants und Kreativläden angesiedelt. In den Cafés sitzen die Leute zusammen – Jung und Alt – sie kommunizieren, sie lachen, sie genießen den Tag.
Bevor es dunkel wird, erreichen wir unseren Campingplatz in Amsterdam. Als überzeugte Wildcamper ist es immer wieder eine Überwindung, die Nacht dicht an dicht mit Wohnmobilen zu verbringen. Wildcamping ist in den Niederlanden keine Option (nicht mit Dachzelt) und angesichts der hohen Hotelpreise ist der Campingplatz eine sehr kostengünstige Alternative.
Der zweite Tag – wieder ein Wetter wie aus dem Bilderbuch. Mit der Straßenbahn fahren wir ins Herz von Amsterdam. Am Hafen liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff. Die Stadt selbst ist ein Gewirr aus Grachten, Brücken und kleinen Straßen. Wir spazieren vorbei an zahllosen alternativen Cafés und Ateliers, Hanfläden und Heerscharen von abgestellten Fahrrädern. Am Klischee der Kiffer-Stadt Amsterdam ist etwas dran: Immer wieder weht uns der Geruch von Cannabis in die Nase, immer wieder begegnen wir zumeist Männern, die stolz ihre gerollte, überdimensionierte Tüte phallusgleich zur Schau stellen.
Amsterdam ist eine Stadt für alle: hier gibt es Businesslook und schnoddrige Unangepasstheit. Familien mit Kindern, Horden von Junggesellenabschiedsfeiernden, alte Ehepaare und Jugendliche auf ihrem ersten Trip ohne Erwachsenenbegleitung – sie alle finden in Amsterdam das, was sie suchen. Auch uns gefällt die gemütliche Lässigkeit der Stadt, nachdem wir erst einmal die Massen von Touristen im Bahnhofviertel hinter uns gelassen haben. Come as you are, das ist Amsterdam.
Der Volkspark ist ein grüner Begegnungsort. Großzügige Grasflächen, Wasserlandschaften, Cafés und ein schöner Kinderspielplatz. Hier und da Kunstinstallationen. In einem ausgehöhlten Baumstamm wohnt ein Obdachloser. Eine Frau macht Yoga in der Herbstsonne. Ein Mann sitzt gedankenversunken und kiffend auf den Stufen einer Statue. Hunde und Kinder rennen zwischen den Bäumen umher. Die Parkbänke sind besetzt von Menschen, die ihre Gesichter noch einmal der Sonne entgegenhalten.
Anfang Oktober steht die Sonne am Nachmittag schon tief. Die Häuser werfen lange Schatten auf die schmalen Gassen der Stadt. Die Nieuwe Spiegelstraat ist eine solche. Sie ist voll von Antiquariaten und Kunstgeschäften. Goldene Bilderrahmen, schwere Lederbände, abgenutztes Holz. Karten, auf denen weite Regionen der Welt ein unentdecktes Mysterium sind. Wir schlendern vorbei an Blumengeschäften, die ein buntes, stark duftendes Durcheinander an verschiedenen Arten von Tulpen feilbieten, und einem chinesischen Tempel.
Unser ausgedehnter Rundgang endet im berühmten Rotlichtviertel von Amsterdam. Mit den letzten Strahlen der Sonne bereiten sich die ersten Sex-Arbeiterinnen auf ihre Schicht vor. In kleinen Kabinen, mit Schaufenstern zum Gehweg, werden sie ihren Körper präsentieren. Natürlich herrscht striktes Fotografierverbot. Ohnehin sind die meisten Schaufenster noch unbesetzt – hier und da werden die großen Scheiben vor dem Abend geputzt. Noch sind es die Tagestouristen, die neugierig durch das Viertel schlendern. In wenigen Stunden werden die Bars und Schaufenster besetzt sein. Die Dunkelheit wird die unschuldige Atmosphäre des Tages verwandeln.
Der dritte Tag und schon wieder Sonnenschein. Wir frühstücken auf morgentaunassen Bänken und bei Temperaturen knapp über null Grad. Auf der Fahrt nach Den Haag stellen wir die Heizung im Auto auf die höchste Stufe. Es ist Samstag, doch wir sind früh aufgestanden – es ist also noch ruhig in Den Haag.
Während uns Utrecht mit alternativem und künstlerischem Charme begeisterte, ist Den Haag eine gänzlich andere Stadt. Durch verschiedene EU-Institutionen und internationale Organisationen hat sich hier eine gewisse Blase entwickelt. Sie ist vielsprachig, hervorragend ausgebildet und global aufgestellt. Zur Mittagszeit besuchen wir einen Spielplatz mit unserem kleinen Mann und tauchen für einen Moment in jene Blase ein. Ein Kindergeburtstag wird gefeiert. Die Gäste sind schick angezogen, sprechen Niederländisch, Deutsch und Englisch miteinander. Ein multikulturelles Zusammentreffen, wie es hier nicht unüblich sein dürfte. Eine Stadt der Akademiker und hohen Verwaltungsbeamten. Den Haag ist aufgeräumt, ordentlich, vorzeigbar. Eine Stadt am Meer, eine Stadt in Europa. Eine Stadt, die in Fernsehnachrichten gezeigt wird.
Der Stadtstrand von Den Haag ist uns zu voll, also weichen wir aus auf den beschaulichen, langgezogenen Strand bei Katwijk aan Zee. Hier gibt es ein Café und eine Handvoll Ferienhütten. Ansonsten Sand, dahinter Dünen. Nordsee, wie man sie sich vorstellt. Offshore-Windanlagen stehen blass am Horizont, noch weiter draußen verschwindend kleine Containerschiffe. Nicht die palmengesäumten Tropenstrände, die wir gewohnt sind. Hier bläst uns ein kalter Wind um die Ohren. Zwei Mädchen wagen sich in das eiskalte Meer hinein. Wir hören ihre fröhlichen Schreie. Unser kleiner Mann sammelt eifrig Muscheln, dann entdeckt auch er das Meer für sich. Die immer wiederkehrenden Wellen bereiten ihm großes Vergnügen.
Wir genießen noch einen Kaffee, windgeschützt und warm eingehüllt, mit Blick auf das offene Meer. Egal ob tropenwarm oder nordseefeucht: Meer bleibt Meer – und das ist immer eine Reise wert.
Zu unserem Campingplatz nehmen wir einen kleinen, sandigen Pfad durch die Dünen. Die Sonne wirft bereits ihr orange-blaues Licht auf die Sandhügel und das Dünengras. Jungs lassen im Verborgenen Feuerwerkskörper hochgehen. Eine Gruppe deutscher Touristen genießt den Sonnenuntergang mit guter Laune und selbst gebranntem Schnaps.
Früh brechen wir am nächsten Morgen Richtung Heimat auf. Wir reden über das Erlebte und unsere Eindrücke der vergangenen Tage. Wir haben in so kurzer Zeit mehr gesehen als wir erwartet hatten. Nur eine Sache fehlt uns für das rundum gelungene Niederlande-Erlebnis: das Bild einer Windmühle. Vany zögert nicht lange: ein kurzer Blick in Google Maps, nächste Abfahrt und ein kleiner Umweg durch malerische Dörfer an kleinen Kanälen und Kuhweiden vorbei. Mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages erreichen wir sie schließlich: unsere Windmühle. Malerisch an einem See gelegen, so, wie wir sie uns vorgestellt haben. Wir lassen die Drohne fliegen, sind begeistert von den Farben, die der Himmel annimmt. Eine Gruppe von Gänsen hat uns bemerkt. Sie schütteln den Schlaf aus ihren Federn und schwingen sich in die Lüfte.
Einen besseren Abschluss hätte unsere Reise in dieses unscheinbare, doch schöne Land nicht finden können.
In den wenigen Tagen, die wir durch die Niederlande reisten, haben wir natürlich nur an der Oberfläche dieses kleinen Fleckchen Erde gekratzt. Und doch haben wir unterschiedliche Facetten kennengelernt. Die kurze Zeit hat schon ausgereicht, um uns in die unkomplizierte und fröhliche Art der Niederländer, die idyllischen Landschaften und romantischen Städtchen sowie mutige Stadtplanung zu verlieben. Gewiss gibt es viele weitere, gerade kleinere Ortschaften, die hier eine Reise Wert sind. Zum Glück ist der Sprung ins Nachbarland Deutschlands nicht allzu weit.
Infos zu unserer Reise
Für unsere Bedürfnisse sind die Niederlande das perfekte Land für einen Kurztrip. Kurze Weg und eine hohe Dichte an sehenswerten Ortschaften. Selbst die Hauptstadt Amsterdam lässt sich grundsätzlich gut an einem Tag erkunden. Die Preise sind auf unserem Niveau, kontaktloses Zahlen ist überall möglich und die meisten Niederländer sprechen ein sehr gutes Englisch – wenn nicht sogar Deutsch.
Eine mehrwöchige Reise – beispielsweise ein zweiwöchiger Sommerurlaub an der Nordsee – wäre für uns hingegen unvorstellbar. Zu dicht sind die Niederlanden besiedelt, zu wenig menschenfreie Natur und weite Landschaften hat sie für uns auf Dauer zu bieten. Wer nicht auf Campingplätzen übernachten möchte, ist auf die ziemlich teuren Hotels angewiesen. So gut die niederländischen Stellplätze auch ausgestatten sein mögen, wären sie für uns keine Option für längere Aufenthalte.
Natürlich besitzen die Niederlande eine gewisse spießige Romantik: Tulpenfelder, Windmühlen im Sonnenuntergang, Strandcafés und Grachten haben wir bislang eher mit Kaffeefahrten und im Bus reisenden Senioren verbunden. Doch am meisten gefielen uns die einfachen Örtchen, durch die wir überall fuhren. Geräumige Backsteingebäude, die eher englischen Charme besitzen und eine erfrischende Abwechslung zur deutschen Bunkerarchitektur der aus dem Boden sprießenden Neubaugebiete darstellt.
Die Niederlande liegen ungefähr auf deutschem Preisniveau. Unserer Wahrnehmung nach gilt dies eigentlich für alle Bereiche.
Die niederländische Küche ist geprägt von Einfachheit, Bodenständigkeit und regionalen Einflüssen. Traditionelle Gerichte sind oft herzhaft und fettig. Ganz oben auf der Liste der regionalen Spezialitäten steht natürlich Käse. Edamer, Maasdamer, Limburger, Gouda … Überall im Land findet ihr gut sortierte Käseläden, in denen ihr euch einmal durchprobieren könnt. Ein sehr beliebter Snack ist Bitterballen – kleine Fleischbällchen, die mit Senf gegessen werden. Oft trinkt man dazu Bier – ohnehin wird in den Niederlanden gerne und viel Bier getrunken. Auch hier gibt es hervorragende Sorten. Ansonsten stehen Fisch (Hering) und Frittiertes auf der Speisekarte.
Vielleicht war es dem Feiertag und dem damit langen Wochenende in Deutschland geschuldet, doch die Preise für eine Hotelübernachtung in den gesamten Niederlanden waren jenseits von Gut und Böse. Die günstigsten Unterkünfte beginnen etwa ab 70-80 Euro. Rechnet eher mit mindestens 100-120 Euro pro Nacht. Für zentrumsnahe und schöne Unterkünfte liegt ihr dann wohl eher bei 200 Euro aufwärts.
Die beste Alternative stellen Campingplätze dar. Ihr zahlt etwa 20-30 Euro die Nacht für einen Stellplatz. Die Niederlande sind das Wohnmobilland schlechthin, dementsprechend gut ausgestattet sind die Campingplätze. Überall wo wir waren, gab es großzügige Kochmöglichkeiten, saubere Sanitäranlagen und teilweise auch Aufenthaltsräume, die gerade im Winter Gold wert sind.
Auf folgenden Campingplätzen haben wir übernachtet:
- Siebieverden bei Doesburg – toller Campingplatz mit großer Stellplatzwiese, Kinderspielplatz, sauberen Sanitäranlagen und großzügigem Aufenthaltsraum mit Küche
- Camping Zeeburg Amsterdam – stadtnah und gut ausgestattet, allerdings sehr groß und unpersönlich
- Molecaten Park Noordduinen – dieser Platz gefiel uns überhaupt nicht, zu groß und labyrinthartig, außerdem sind die Stellplätze teilweise sehr erdig und die Wege weit
Wir nahmen die Niederlande als sehr sicher wahr. Die Kriminalitätsrate ist auf einem niedrigen Niveau, sodass es vor einigen Jahren sogar Meldungen über Gefängnisschließungen gab. Allein in Amsterdam solltet ihr etwas mehr Vorsicht an den Tag legen.
Wenn wir uns bei Freunden und Bekannten mit Kindern nach dem Ziel für die nächsten Sommerferien erkunden, bekommen wir häufig „Niederlande“ zur Antwort. Das mag an vielen Gründen liegen: grundsätzlich erst einmal an der hervorragenden Infrastruktur und der kurzen Anreise. Es gibt kaum Kriminalität, eine ausgezeichnete medizinische Versorgung und auf einem Campingplatz lässt sich auch ein Urlaub als fünfköpfige Familie günstig umsetzen – das Meer gibt es gratis. Weitere Vorteile: Das niederländische Essen ist kindgerecht, die deutsche SIM-Karte lässt sich nutzen, der Euro ist Hauptwährung (oder man zahlt gleich kontaktlos mit Karte oder Handy), die Niederländer sind freundlich und unkompliziert und die Freizeitaktivitäten sind zahlreich. Sightseeing, Stadtbesichtigungen, Kultur, Schwimmen, Strandtage, jegliche Wassersportarten, Wandern, Fahrradfahren, Museumsbesuche … die Liste ließe sich endlos erweitern. Ja, die Niederlande sind gewiss das perfekte Familienreiseziel.
Prinzipiell kommt ihr auf jede erdenkliche Art in die Niederlande. Falls ihr euren Schwerpunkt auf Amsterdam und andere Großstädte legt, empfiehlt sich eine Anreise mit der Bahn. Es gibt gute Verbindungen von und nach Deutschland. Wer auf Campingplätzen nächtigt, reist vermutlich mit eigenem Auto oder Camper an. Die Straßen im ganzen Land sind zwar mautfrei, doch ihr solltet unbedingt vermeiden, mit eurem Auto oder gar Wohnmobil in die Städte reinzufahren. Parktickets sind sehr teuer (teils zweistellige Beträge pro Stunde) und die Straßen sind eng – nicht selten teilt ihr euch eine (!) Spur mit dem Gegenverkehr zugunsten breiter und sicherer Radwege. Nutzt also die öffentlichen Verkehrsmittel, um in die Stadtzentren zu gelangen.
- Einen etwas anderen Reiseführer hat Ulrike Grafberger mit Holland für die Hosentasche: Was Reiseführer verschweigen geschrieben
- Wer tief in die niederländische Geschichte eintauchen will, findet in Christoph Driess Geschichte der Niederlande: Von der Seemacht zum Trendland genau das richtige Buch