Myanmar
Myanmar ist mystisch: die Spitzen der Pagoden im Morgennebel von Bagan. Der schweißtreibende Aufstieg zum Berg Zwegabin zum Sonnenaufgang. Die Höhlen voller Buddhastatuen bei Hpa-an. Der idyllische Inle-See umschlossen von wallenden Hügeln. Die malerisch weißen Traumstrände von Dawei oder Ngwe-Saung. Und überall eine unglaubliche offene Herzenswärme und ein breites Lächeln, die uns an jeder Ecke begegnen.
2012 besuchten wir zum ersten Mal die Hauptstadt Yangon, zufälligerweise zum Zeitpunkt der ersten freien Präsidentschaftswahlen. Myanmar erlebte daraufhin einen zarten Prozess der Öffnung. Touristen strömten in das Land, internationale Organisationen spülten Hilfeleistungen und Gelder in die Region, China und andere Staaten knüpften Handelsbeziehungen. 2019 hatten wir das große Glück, Myanmar mehrere Wochen zu bereisen, da Chris für seine Masterarbeit drei Monate lang in Myanmar forschte. Im Frühling 2021 ergriff erneut das Militär die Macht und führt seitdem einen erbitterten Kampf gegen Ethnien und rebellische Splittergruppen. Auf lange Sicht kann es diesen Kampf nur verlieren – schon jetzt wird der Militärdiktatur immer wieder das Ende vorausgesagt.

Wir landen am beschaulichen Flughafen von Mandalay, einer der wichtigsten und zweitgrößten Städte im Land. Obwohl hier weit mehr als 1,5 Millionen Menschen leben, zeigt sich uns die Stadt ruhig, fast schon provinziell. Die jahrzehntelange Militärdiktatur hat einen verarmten und rückständigen Staat hinterlassen.
In einem Teehaus essen wir eine Kleinigkeit zu Mittag. Arbeiter mustern uns neugierig über den Rand ihrer Suppenschalen hinweg. Wir nehmen ein Taxi zur Mahamuni-Pagode und befinden uns sofort tief in der buddhistischen Glaubenspraktik: Statuen, Räucherstäbchen, Gebete und Gebetsketten, Blattgold und heilige Inschriften. Pilger und Ausflügler, Familien und Alleinreisende. Unter all diesen Menschen sind wir die einzigen Touristen – oder wir sehen sie zumindest nicht. Schuhe aus auf den hellen Marmorböden, Fotografierverbot der Jade-Buddhastatue. Kein Zutritt für Frauen. Eine Verbeugung, ein um die nackten Unterbeine gewickelter Longyi. Während in weiten Teilen Südostasien Religion sehr spielerisch und frei interpretiert wird, scheint der Buddhismus in Myanmar ernster und traditioneller gelebt zu werden.
Am Nachmittag spazieren wir durch die verschiedenen Bezirke der Stadt. Wir sehen Tempel und duftende Blumen. Wir verirren uns in kleinen Straßen voller Handwerksläden: Steinmetze formen Buddhas in verschiedensten Haltungen. Goldschmiede schaffen die filigranen Kronen, die oft über Buddha-Statuen angebracht werden. Wir begegnen Instrumentenbauern und Webern, Metallbauern und Möbelschreinern. Irgendwann gelangen wir zu einem dunklen See. Ein schmaler Sichelmond steht am Himmel, dahinter funkeln die Lichter einer Siedlung. Auf den Bergen leuchtet das Gold der Tempel. Schon jetzt ist uns Myanmar heilig.






Der nächste Morgen ist wunderschön: Der Himmel ist klar und Anfang Februar sind die Temperaturen noch gut erträglich. Normalerweise zählt die staubige Ebene um Mandalay herum zu den heißesten Regionen in Myanmar, wenn nicht sogar in Südostasien.
Wir haben Roller gemietet und machen uns auf, die Gegend um Mandalay herum zu erkunden. Eine breite Straße führt uns südwärts. Der Fahrtwind schlägt uns ins Gesicht, bald haben wir den Stadtverkehr hinter uns gelassen. Die Luft riecht würzig, am Straßenrand blühen tropische Bäume. Weiß getünchte Tempel mit goldenen Dächern liegen abseits der Straße und auf den Kuppeln der Hügel. Es ist großartig und wird einer der schönsten Tage unserer Reise sein.
Wir besuchen ein buddhistisches Kloster, spazieren durch ein Dorf am Fluss, essen zu Mittag in einem sehr ursprünglichen Restaurant und folgen am Nachmittag einer Bergstraße den Sagaing-Hügel hinauf. Die Aussicht ist atemberaubend: Weites Land liegt vor uns. Ein Land, so arm und zerrissen, doch zeitgleich so unglaublich reich an Kultur und Freundlichkeit. Es ist der zweite Tag unserer Reise, doch wir sind schon unsterblich verliebt.
Zum Sonnenuntergang fahren wir zu U-Bein-Brücke. Sie ist nicht nur die älteste, sondern auch längste Teak-Holz-Brücke der Welt. Riesige Reisebusse karren hunderte von Chinesen heran. Doch sie halten nur für ein schnelles Foto auf den ersten Metern der Brücke. Wir gehen weiter und finden wahres Leben abseits der Brücke: Einen Fischer, der im flachen Wasser der Trockenzeit nach Krebsen sucht. Ein Mann auf seinem Motorroller, der telefonierend dem Sonnenuntergang beiwohnt. Ein kleiner, fast schon vergessener Tempel am Rand der Touristenströme. Und die U-Bein-Brücke als eine schlichte, doch zugleich grandiose Kulisse dieses Panoptikum.






Ein Überlandbus bringt uns in die alte Königsstadt Bagan. Am Fenster des Busses zieht eine weite Landschaft vorbei, einfache Hütten am Straßenrand. Frauen schuften auf Baustellen und tragen schwere Wasserkanister nach Hause. Sie leisten einen Knochenjob.
In Bagan mieten wir uns einen Elektroroller und folgen den ausgefahrenen, sandigen Pisten. Rund um die kleine Stadt liegt ein gigantisches Areal von über 2.000 Tempeln. Schnell verirren wir uns in diesem Labyrinth an Pfaden und Ruinen – und genießen es. Während der größten Nachmittaghitze ruhen wir uns im Hotel aus, bevor wir uns zum Sonnenuntergang noch einmal hineinstürzen in diese pittoreske Tempellandschaft. Wir fahren weit hinaus an den Rand der Anlage. Plötzlich hüllt uns dichter Staub ein. Eine Kuhherde zieht an uns vorbei. Wir sind mittendrin. Der Himmel beginnt sich zu färben, er zeigt sich in seiner ganzen Palette an Tönen. Wir erreichen gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang eine Anhöhe. Die Tempelspitzen und Türme ragen wie Giganten über diesem Land auf. Manche von ihnen werden goldbeschienen. Es sind heilige Riesen, heilige Relikte.






Am nächsten Morgen holen uns Techniker der deutschen Stiftung Life ab. Wir sind zur Eröffnungsfeier einer Wasserpumpe in einem etwa 40 Kilometer entfernt liegenden Dorf eingeladen. Auf der Pritsche eines Transporters fahren wir über löchrige Straßen, der Fahrtwind kühlt den Schweiß auf unserer Haut.
Ein Wasserbecken aus Beton, darin eine Pumpe, die Wasser aus der Tiefe befördert. Simple Technik und zugleich unendlich wertvoll in dieser heißen Gegend. Die Verfügbarkeit von sauberem Wasser bedeutet für die Bewohner des Dorfes eine bessere Hygiene, eine bessere Gesundheit und eine Verbesserung des Lebensstandards – in erster Linie der Frauen. Denn sie sind es, die täglich mehrere Kilometer zur nächsten Wasserstelle laufen, um frisches Wasser heimzutragen. Die einfache Technik, gespendet von der deutschen Stiftung, befreit sie von dieser schweren Bürde und gibt ihnen Zeit für Bildung oder einen Job.
In den nächsten Tagen brechen wir weitere Male auf, um mit Mitarbeitern der Stiftung Projekte in den Dörfern um Bagan herum zu besichtigen. Wir kommen mit Dorfvorstehern und den verschiedensten Menschen ins Gespräch. Wir überzeugen uns vom Einsatz einer Solaranlage, die einen alten, stinkenden und allzu oft defekten Dieselgenerator ablöst, um Strom für eine ganze Siedlung zu erzeugen. Wir besuchen eine Schule, deren Schüler über keine geeigneten Bücher oder gar genügend Papier verfügen. Schon Kleinigkeiten, die bei uns achtlos und gedankenlos verwendet wie verschwendet werden, machen hier einen Unterschied aus und können eine Veränderung bewirken.
All die Eindrücke und Erlebnisse arbeiten in uns, als wir Bagan mit dem Bus Richtung Südosten verlassen.



Der Inle-See ist einer der größten Touristenmagneten in Myanmar. Es gibt eine Vielzahl an Restaurants und Hotels, Tourenanbieter und Fahrradverleihe.
Wir nutzen den Tag unserer Ankunft, um die letzten Tage sacken zu lassen und um uns zu entspannen. Wir genießen gutes Essen und eine Massage, bevor wir am nächsten Morgen früh am Ufer eines Nebenflusses des Sees stehen. Es ist kühl und diesig. Mit einem kleinen Boot fahren wir hinaus in die aufgehende Sonne. Fischer jagen nach Beute – sie nutzen traditionelle Techniken wie Stöcke und spezielle Reusen. Meisterlich beherrschen sie es, ihre kleinen Boote zu manövrieren: Mit kleinen Paddeln steuern sie selbst um die engsten Kurven.
Am Ufer beobachten wir Wasserbüffel oder spielende Kinder. Im dichten Schilf stehen Hütten auf schmalen Stelzen im Wasser. Sie sind aus Bambus und Holz gebaut. An den Nebenarmen, Ufern und selbst auf dem See lebt eine Vielzahl an Menschen. Das Wasser des Inle-Sees ist ihre Lebensgrundlage, aus der sie Nahrung und Arbeit beziehen. Sie verkaufen den überschüssigen Fisch, säen Blumen, ernten Lotus. Das Wetter hier ist schon milder als im trockenen Becken rund um Mandalay – an den Hängen des Inle-Sees wächst sogar Wein.



In den Häusern und Dörfern am See haben sich viele unterschiedliche Handwerker und Familienbetriebe angesiedelt. Traditionell wird hier auf dem Wasser Lotus angebaut, aus dem feinste Seide gewonnen wird. Burmesische Longyi (Wickelröcke), die auch heute noch von fast allen Burmesen getragen werden, werden hier aus der teuren Lotusseide gewebt.
Ein paar Häuser weiter laufen wir durch eine Silberschmiede. Mit gezielten Hammerschlägen wird der rohe, glänzende Barren in Form gebracht. Ein riesiger Blasebalg facht die Schmiedefeuer an. In einer Papierfabrik bewundern wir bunte Papierschirme, ein Holzschnitzer zeigt uns seine vielfältigen Marionetten und Handpuppen, ein Zigarettenwickler lässt uns verschiedene Geschmacksrichtungen der burmesischen Cheroots (Zigarren) kosten. In spezielle Blätter eingerollter Tabak, versehen mit Geschmäckern wie Minze, Tamarinde oder Banane, legt sich uns als feines und überhaupt nicht kratziges Aroma auf die Zungen.
Obwohl die meisten Betriebe von den Touristen am Inle-Lake leben, ist es ein wunderbarer Einblick in das traditionelle Handwerk der Burmesen, wie es noch heute in weiten Teilen des Landes praktiziert wird.





In der Eingangshalle der Seidenmanufaktur sitzen zwei Frauen der Padaung, einer ethnischen Gruppe in Myanmar. Sie tragen den traditionellen Halsschmuck, der den Angehörigen der Padaung den abwertenden Namen „Long Neck“ eingebracht hat. Besonders in Thailand werden die langhalsigen Frauen als Touristenattraktionen vermarktet und können in verschiedenen „Long Neck Villages“ besichtigt werden. Diese „Menschenzoos“ sind eine grausame und verwerfliche Praxis.
Chris ist hin- und hergerissen, ob er die zwei Frauen fotografieren soll. Sie arbeiten zwar hier, doch sind sie offensichtlich zu touristischen Zwecken prominent im Eingangsbereich platziert. Es ist der Fluch der Fotografie – Bilder können schnell Klischees und das Erwartete reproduzieren und damit Normen und Idealvorstellungen prägen. So geschehen in der Modebranche als auch in Jahrzehnten der Kulturetnographie.
Chris entscheidet sich letztendlich für den Mittelweg: Er nähert sich langsam den beiden Frauen und fragt sie mit Handzeichen und Blicken, ob er ein Foto von Ihnen machen dürfe. Sie willigen ein und freuen sich über die schönen Aufnahmen, die ihnen Chris auf seiner Kamera zeigt.


Der Nachtbus bringt uns über kurvenreiche und staubige Pisten nach Ngwe-Saung an der Westküste am Golf von Bengalen. Hier entspannen wir ein paar Tage, bevor wir uns in die größte Stadt des Landes – Yangon – stürzen.
Schon 2012 haben wir Yangon zur ersten, freien Wahl besucht. Das Wahrzeichen der Stadt, wenn nicht sogar des gesamten Landes – die Shwedagon Pagode – hat uns damals berührt und verzaubert. Dieser heilige und für den burmesischen Buddhismus so bedeutsame Ort ist für uns einer der schönsten in ganz Südostasien. Wir brennen darauf, ihn erneut zu sehen.
Schon von Weitem sehen wir sie golden leuchten. Unsere Herzen schlagen höher, als wir den Treppenaufstieg erklimmen. Vor uns liegt ein Areal voller Schreine, Relikte und Buddhastatuen. Alles schimmert golden, der weiße Marmorboden reflektiert die Farben und das goldene Licht, selbst der Mond scheint einen goldenen Schimmer auf uns zu werfen. Obwohl viele Menschen jeden Abend hier heraufkommen, ist es nicht zu voll oder gar zu laut. Eine entspannte Andächtigkeit liegt über allem. Menschen beten oder meditieren. Auch wir lassen uns in einer Ecke eines Pavillons nieder, um den Moment in uns aufzusaugen und innezuhalten.
Wir blicken auf spannende Wochen in Myanmar zurück. Nun werden sich unsere Wege trennen: Chris wird für weitere drei Monate in Rangun bleiben, arbeiten und forschen. Vany wird nach Hause fliegen.




Der Februar endet. Tabodwe ist der elfte Monat des traditionellen, burmesischen Mondkalenders. Heute ist ein ganz besonderer Tag: Vollmond. Dieser Tag leitet das Ende der kühlen Winterjahreszeit ein. Tatsächlich waren die Morgen mancherorts mild, fast schon frisch gewesen. Das ist nun vorbei. Ab sofort werden die Tage heißer bis ungefähr Mitte April. Dann findet das burmesische Jahr mit dem großen Wasserfest seinen Ausklang.
Nun aber ist Htamanè angesagt. Das Reisgericht wird anlässlich des Vollmondes im Tabodwe-Monat im ganzen Land zubereitet, vorzugsweise in Klöstern und gerne als Wettbewerb: Wem gelingt das leckerste Htamanè? Ich bin an die University of Yangon eingeladen. Die einzelnen Fachbereiche haben ihre riesigen Woks und Feuerstellen auf dem Campus vorbereitet. Es gibt Tanz- und Showeinlagen. Dann beginnt der Wettkampf. Die Teams entfachen die Feuer, kochen Reis, fügen verschiedene Zutaten hinzu, kneten die Masse im rhythmischen Gleichklang mit langen Paddeln. Immer wieder muss das Feuer angeheizt werden. Große Schweißperlen stehen den Teilnehmern auf der Stirn. Das Publikum johlt und applaudiert.
Am Schluss werden die Sieger gekürt, danach das herrlich duftenden Htamanè an alle Gäste verteilt. Ein herrliches Fest.




An einem heißen Sonntagnachmittag möchte ich auf die andere Seite des Hlaing-Flusses. Dieser begrenzt die riesige Stadt Yangon im Westen. Auf der anderen Uferseite liegen kleine, verschlafene Dörfer. Offiziell gehören sie zum Stadtgebiet von Yangon, tatsächlich aber scheint dort die Zeit um Jahrzehnte zurückgedreht zu sein.
Ein Fährmann nimmt mich in seinem winzigen Boot mit auf die andere Seite. Viel zu sehen gibt es dort nicht. Lediglich ein schlichtes, burmesisches Leben mit einfachen, offenen Hütten. Kaum Autos, dafür umso mehr Fahrräder und Motorroller. Kinder, die auf der Straße spielen. Ein großer Bananenmarkt. An einer Ecke ist ein kleines Straßencafé. Ich lasse mich nieder, um einen heißen Tee und etwas Gebäck zu essen – in Fett frittierte Teigkringel. Um mich herum verläuft ein stiller, unaufgeregter Alltag.


In der Hauptstadt Yangon, direkt an einer viel befahrenen Hauptstraße im Herzen der Stadt, nahe dem Zoo, liegt ein verlassener Freizeitpark. 1997 wurde er wohl unter der damaligen Militärregierung eröffnet und hatte alles, was den Bewohnern der Stadt kurzweiliges Vergnügen zu bereiten vermochte: Karussells, eine Schiffsschaukel, Autoscooter, die erste Achterbahn im Land, eine Panoramabahn und viele weitere, kleinere Fahrgeschäfte. Rund 15 Jahre später schloss der Park – wieso, ist nicht herauszufinden. Seitdem liegt er verlassen da, wird von der Natur stückweise zurückerobert und ist bislang von grobem Vandalismus verschont geblieben. Im Gegensatz zu vielen anderen Lost Places hat dieser Freizeitpark wenig Bedrohliches. Es ist ein friedvoller Ort, in dem das Lachen längst vergangener Tage nachhallt. Zugleich ist er eine Parabel für die aktuellste Geschichte des Landes. Mit großem Pomp und internationalem Aufsehen in die Demokratie gestartet, war es nur eine kurze, prosperierende und liberale Zeit des Aufstieges, bevor sich die alten Generäle des Militärs wieder nahmen, was sie als ihr Eigentum betrachteten: das Land, die Menschen, ihre Seele und Zukunft.



Die Abende in Yangon sind heiß und voller Leben. Da sind die einfachen Barbecue-Restaurants, in denen die Luft nach Holzkohle und gegrilltem Fleisch riecht. Der Boden klebt, die Röcke der Kellnerinnen sind knapp, die Restaurantbesucher einfache Arbeiter auf der Suche nach Unterhaltung und Bier. Die Stimmung ist ausgelassen und locker. Mal wird es handgreiflich, dann wieder liegen sich alle in den Armen.
Dem gegenüber stehen die schicken Rooftop-Bars und Restaurants hinter hohen Glasfenstern. Hier treffen sich Expats, Angestellte von internationalen Organisationen, NGOs oder Botschaftsmitarbeiter. Wer als Burmese Geld hat, kommt ebenfalls hierher. Ebenso Frauen in Begleitung eines Weißen oder solche, die einen „Westler“ suchen. Das übliche Spiel.
Dazwischen gibt es die ganze Bandbreite an Kultur: Jugendliche, die nachts bei Bier und Vollmond Volkslieder auf ihrer Gitarre spielen. Jazzkonzerte von international gefeierten Künstlern. Klassische Aufführungen, die musikalische Elemente Europas und Asiens verbinden. Zum Bersten volle Pubs, in denen das Publikum zu harten Gitarrenriffs lokaler Punkbands grölt. Queere Stand-up-Comedians, die anzügliche Witze reißen.
Yangon im Frühjahr 2019 scheint einer liberalen und demokratischen Gesellschaft schon sehr nahe zu sein. Man kann darüber leicht vergessen, dass in weiten Teilen des Landes noch immer blutig gekämpft wird. Eigentlich haben die Kämpfe in diesem Land niemals geendet.


An einem heißen Märzwochenende besteige ich den Überlandbus nach Hpa-an. Die kleine Stadt ist touristisch geprägt, gelegen an einem Fluss und umgeben von weiten Reisfeldern, Hügelketten und Bergen. Mit dem Motorroller lässt sich die Region am besten erkunden. Tiefe Höhlen führen durch die Berge. Buddhastatuen und heilige Schreine sind zahlreich. An den Decken hängen Fledermäuse – am Abend werden sie in gigantischen Strömen aus den Höhlen fliegen und den Nachthimmel bevölkern.
Die Kyaut-Ka-Latt-Pagode thront auf einem skurrilen Felsen inmitten eines künstlichen Sees. Eine hölzerne Leiter, wackelig und nicht gerade vertrauenerweckend, führt zur Spitze hinauf. Mönche sitzen im Schatten der Bäume, lächeln mir zu.
In der folgenden Nacht fahre ich zum Mount Zwegabin. Buddhastatuen säumen den Anfangspunkt eines steilen und schlecht ausgebauten Pfades zur Spitze des 722 Meter hohen Berges. Ich schaffe den schweißtreibenden Aufstieg pünktlich zum Sonnenaufgang. Kurz vor dem Ziel treffe ich einen alten Mann. Er berichtet mir, dass er diesen mehrstündigen Aufstieg jeden Morgen bewältigt, um oben zu meditieren und eine Kerze zu entfachen.
Der Sonnenaufgang präsentiert sich zurückhaltend und in Pastellfarben. Wolken ziehen an mir vorbei und nehmen die Sicht. Ich setzte mich nieder, nehmen einen tiefen Atemzug. Die Luft ist frisch, ein leichter Wind geht und kühlt meine erhitzte Haut. Plötzlich reißen die Wolken auf und ich blicke auf ein Land, das so wunderschön und reich ist, dass ich es in den wenigen Monaten meines Aufenthaltes fest in mein Herz geschlossen habe. Hier, in der aufgehende Sonne, vergesse ich das Leid und die Gewalt, die grausame Vergangenheit und die ungewisse Zukunft dieses Landes.




Bevor meine Zeit in Myanmar zu Ende geht, werde ich noch einmal nach Dawei an der Andaman-See fahren und die langen Traumstrände genießen. Ich werde von Tag zu Tag tiefer in Yangons Seele eintauchen und diese Stadt genauso lieben lernen, wie den Rest des Landes. Ich werde auf viele Freundschaften und flüchtige Bekanntschaften zurückblicken, die mich so nah an dieses Land und seine Kultur herangeführt haben, wie an kaum ein anderes zuvor.
Während ich am Flughafen in Yangon auf meine Maschine nach Bangkok warte, glaube ich an eine baldige Rückkehr und eine prosperierende Zukunft Myanmars. Während meines dreimonatigen Aufenthaltes habe ich mich frei gefühlt, obwohl ich an jeder Ecke mit den Missständen und Bürgerrechtsverletzungen konfrontiert worden bin. Doch erkenne ich einen Ausweg, einen Weg der Besserung.
Nur wenige Monate, nachdem ich Myanmar verlassen habe, wird erst Covid-19 die Welt zum Erliegen bringen. Alle Augen sind auf die Pandemie und China gerichtet. Das burmesische Militär nutzt im März 2021 die Gunst der Stunde, die Demokratie zu stürzen. Das Land versinkt seitdem in einem blutigen Bürgerkrieg. In wenigen Monaten ist alles vernichtet, was zuvor über Jahre hinweg aufgebaut worden war. Es wird Myanmar ergehen, wie jedem anderen Regime – das zeigt die Geschichte. Eines Tages wird das Volk den Staatsterror besiegen. Eine neue Regierung wird an die Macht kommen, das Schicksal vielleicht zum Besseren wenden, vielleicht zum Schlimmeren. Die Geschichte wiederholt sich in endlosen Schleifen.
Infos zu unserer Reise
Myanmar ist derzeit die letzte Diktatur in Asien. Ein Land, das nicht zur Ruhe kommen will. Die Jahre 2012 bis 2021 waren von einer beginnenden Demokratisierung und wirtschaftlichem Aufschwung geprägt. Der Putsch des Militärs im Frühjahr 2021 hat beide Prozesse zum Erliegen gebracht und einen blutigen Bürgerkrieg, der sich zuvor nur auf das östliche und nördliche Grenzgebiet konzentriert hatte, im gesamten Land losgetreten. Damit ist auch der Tourismus zum Stillstand gekommen, obwohl Reisen nach Myanmar möglich sind und – zumindest nach Yangon – weitestgehend sicher. Alles deutet seit geraumer Zeit darauf hin, dass die Militärdiktatur mehr und mehr Boden verliert, schnell könnten sich die Bedingungen ändern.
Zum derzeitigen Stand halten wir höchsten einen Städtetrip nach Yangon für wirklich umsetzbar und sicher. Die meisten anderen Regionen dürften für Ausländer aufgrund von aktiven Kampfgeschehen ohnehin gesperrt sein. Auch 2019 gab es viele Auflagen und Verbote, einige Regionen waren überhaupt nicht oder nur mit einer Ausnahmegenehmigung zu bereisen. Das Führen eines Kraftfahrzeuges war und ist Ausländern, mit Ausnahme von Angestellte von internationalen Organisationen und Botschaften, ohnehin verboten. Dementsprechend blieb die Durchreise mit dem eigenen PKW nur mit Begleitung und Sondergenehmigung möglich. Derzeit dürfte sie wohl kaum realisierbar sein.
Myanmar gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Das Preisniveau ist niedrig. In Yangon zahlt ihr aber selbstverständlich deutlich höhere Preise für gute Hotels und Restaurants mit westlichem Standard. Strom- und Mietpreise sind erfahrungsgemäß auch eher teuer, spielen aber für den Kurzurlaub keine Rolle.
Achtung: Seit dem Militärputsch ist die Bargeldabhebung an Automaten mit der Kreditkarte wohl nicht mehr möglich. Ihr solltet also genügend Reserven an Euro- und Dollarscheinen mitnehmen. Diese lassen sich auf dem Schwarzmarkt zu deutlich besseren Kursen als in den offiziellen Wechselstuben umtauschen. Beachtet, dass nur einwandfreie (!) Geldscheine landesweit akzeptiert werden. Sobald die Scheine einen Knick oder auch nur einen winzigen Schmutzflecken haben, werden sie in der Regel nicht angenommen.
Die Speisen in Myanmar unterscheiden sich grundlegend von asiatischer oder auch indischer Küche, obwohl die Grundzutaten natürlich die gleichen sind. Allgemein wird häufig Erdnussöl zum Braten genutzt, überhaupt stehen mehr Erdnüsse und auch Avocados auf der Speisekarte. Das Essen ist scharf, es gibt verschiedene köstliche Nudelsuppen und Vorspeisen. Ein herausragendes Essen ist der Tea Leaf Salad, dem nachgesagt wird, vitalisierend zu wirken, und den wir so in keinem anderen Land probiert haben. Das Nationalgericht schlechthin ist wohl die typischerweise morgendlich verzehrte Mohinga – eine Fischnudelsuppe, die uns allerdings nicht besonders schmeckte (das lag vielleicht auch am Restaurant selbst). Gerne gegessen haben wir auch Shan-Nudeln, die ihr in der Suppe, als Salat oder Hauptgericht essen könnt. Abends findet ihr überall typische Barbecue-Restaurants. Dort wählt ihr euer Fleisch aus, dieses wird frisch gegrillt und an euren Tisch gebracht. Dazu gibt es Unmengen an Bier und die Stimmung in solchen Restaurants ist in der Regel sehr ausgelassen.
Tagsüber trinken Burmesen sehr gerne Tee, an den Straßenständen könnt ihr für zwischendurch frittierte Snacks und Obst kaufen. Das lokale Bier ist sehr süffig, am Inle-See gibt es auch erfolgreiche Versuche, Wein zu kultivieren. Wasser trinkt selbstverständlich nur aus verschlossenen Flaschen.
Vieles hat sich in Myanmar geändert, seitdem wir 2019 dort waren. Da der Tourismussektor derzeit nahezu komplett zum Erliegen gekommen ist, lohnt es sich an dieser Stelle nicht, konkrete Empfehlungen für Übernachtungsmöglichkeiten abzugeben. Allgemein lässt sich festhalten, was für eigentlich alle Entwicklungsländer gilt: Einen gehobenen Standard könnt ihr gegen entsprechendes Geld zumindest in der Hauptstadt bekommen, ansonsten schraubt eure Erwartungen runter. Etwas Nettes und Günstiges findet ihr aber fast überall.
In weiten Teilen Myanmars – teilweise auch in Yangon – gilt das Kriegsrecht und es kann ohne Ankündigung zu Kampfhandlungen und flächendeckenden Bombardements kommen. Allgemein ist von einer Reise nach Myanmar abzuraten. Unserer persönlichen Einschätzung nach gerät die Militärregierung immer mehr in die Enge und macht erste Zugeständnisse. Die Sicherheitslage kann sich rasant zum Besseren oder auch Schlechteren ändern. Falls ihr euch gegen alle Warnungen für eine Reise nach Myanmar entscheidet, tut dies nur unter Beachtung der aktuellen Lage und vorherigem Kontakt zu Einheimischen. Bleibt flexibel und passt euren Reiseplan der vorherrschenden, volatilen Situation an.
Myanmar ist kein Land, das mit Kindern gut zu bereisen wäre. Es gibt tropische Krankheiten, eine sehr schlechte medizinische Versorgung (salopp gesagt: Alles, was über eine Schürfwunde hinausgeht, sollte in Bangkok behandelt werden), die Hygiene lässt vielerorts zu wünschen übrig, es gibt keine öffentlichen Wickelräume oder einigermaßen saubere Toiletten, die Wege sind lang und meistens bleibt euch die Wahl zwischen einem privaten (und teuren) Taxis oder den öffentlichen Überlandbussen.
Auf der Pro-Seite steht die absolute Kinderfreundlichkeit der Burmesen, überhaupt die gastfreundliche und offene Willkommenskultur der Südostasiaten und – in Friedenszeiten – eine vernachlässigbare Kriminalitätsrate. Am Ende entscheidet ihr selbst, ob ihr die genannten Risiken und Hürden eingeht.
Fast doppelt so groß wie Deutschland und ohne ein vernünftiges Autobahnnetz – ihr könnt euch vorstellen, dass die Wege in Myanmar lang sind. Für Reisen zwischen den weit entfernt liegenden Städten eignen sich Nachtbusse hervorragend. Die Straßen können kurvenreich und in einem desolaten Zustand sein. Insbesondere die schmale Straße zum Badeort Ngwe-Saung ist dafür bekannt, dass sie die Mitfahrer im Bus an die Grenzen ihrer Reisefestigkeit bringt.
Auch wenn ihr keinen PKW fahren dürft, könnt ihr dennoch überall einen Motorroller ausleihen und damit die Gegend erkunden. Taxis ruft ihr vorzugsweise mit der App Grab. Falls ihr als Frau alleine unterwegs seid, bietet euch die App den Schutz, dass die Fahrer zumindest registriert sind. Immer wieder hörten wir Geschichten von sexueller Belästigung im Taxi.
- Ganz oben auf der Liste mit empfehlenswerter Literatur zu Myanmar steht George Orwells Burmese Days, das euch in die Zeit der englischen Kolonialzeit entführt
- Inge Sargent berichtet autobiografisch in Dämmerung über Birma von ihrer Liebesgeschichte mit einem burmesischen Prinzen und ihrem Leben im Myanmar der 1950er, das von der Machtübernahme des Militärs und der Inhaftierung ihres Mannes geprägt war
- Wer sich für starke Frauen interessiert, dem sei die Biografie Aung San Suu Kyi: Ein Leben für die Freiheit ans Herz gelegt
- Leider nicht mehr aktuell – erschienen 2019 vor der jüngsten Machtübernahme des Militärs – präsentiert Thant Myint-U eine großartige Einführung in die politische Geschichte Myanmars mit The Hidden History of Burma: Race, Capitalism, and the Crisis of Democracy in the 21st Century