Kosovo
Es ist kompliziert im Kosovo. Nur 115 von 193 UN-Staaten erkennen das kleine Land als unabhängigen Staat an. Bis in die 1990er gehörte es zu Jugoslawien, dann zur Bundesrepublik Jugoslawien, bevor es sich 2008 von Serbien befreite. Die große Mehrheit der kosovarisches Bevölkerung ist albanisch. Immer wieder wird daher der Anschluss des Kosovos an Albanien zu einem „Großalbanien“ diskutiert. Allein der Norden des Kosovos ist von Serben bewohnt. Die Grenzlinie der beiden Ethnien verläuft entlang des Flusses Ibar durch die Stadt Mitrovica. Hier kommt es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen. Auch andere Ethnien bewohnen den Vielvölkerstaat Kosovo: Bosniaken, Kroaten oder Türken.
Von Montenegro aus gelangen wir über das Prokletije – die nordalbanischen Alpen – an den kosovarischen Grenzübergang. Es ist nicht viel los und der Beamte begrüßt uns mit einem Lächeln. Er führt uns in ein kleines Büro, in dem wir noch schnell eine Kfz-Versicherung abschließen müssen, dann entlässt er uns in seine kosovarische Heimat.
In Peja legen wir eine Mittagspause ein. Viele Autos, einfache Häuser und eine leere Fußgängerzone prägen das Stadtbild. Am Abend, wenn die Hitze des Tages nachgelassen haben wird, werden die Menschen aus ihren Wohnungen kommen und die Cafés füllen. Gestärkt fahren wir weiter zu den Mirusha-Wasserfällen östlich von Peja. Eine grob geschotterte Straße führt steil bergab in ein Tal zu einem Parkplatz voller Autos. Direkt dahinter ergießt sich ein mächtiger Wasserfall in einen kleinen See. Familien mit Kindern schwimmen ausgelassen im kühlenden Wasser. Wir folgen einem kurzen Klettersteig hinauf auf mehrere Ebenen, von wo aus wir einen herrlichen Blick genießen. Als der Nachmittag sein goldenes Licht wirft, kehren wir zum Auto zurück.
In Pristina kristallisiert sich die Stimmung des Landes. Dabei pendelt sie im Kontinuum zwischen Aufbruch und Abriss. Das Stadtbild ist stark von jusgoslawisch-sozialistischer Architektur geprägt. Viele Ecken und Gassen scheinen verweist oder gar heruntergekommen. Doch dazwischen ragen immer wieder Symbole eines Neuanfangs hervor, Sinnbild einer selbstbewussten Bevölkerung, die sich nicht Serbien zugehörig fühlt, sondern in der Angliederung an Albanien die Zukunft sieht.
Der albanische Nationalheld Skanderberg ziert den Platz vor dem Nationaltheater. Die Buchstaben NEWBORN stehen als Kunstinstallation in immer neuen Farben vor dem Sportcenter. Eine Hauptstraße ist nach George W. Bush benannt, ein Boulevard nach Bill Clinton. Die ehemaligen amerikanischen Präsidenten werden hier verehrt, da sie damals im Kosovo das Einschreiten der NATO vorantrieben und so einen Völkermord an den Albanern verhinderten. Die Stadt sucht sich selbst zwischen Islam und Christentum, Tradition und Moderne, Identitätsfindung und Annäherung an Albanien. Alles scheint möglich, alles könnte vielversprechend sein – nur der Weg zurück ist keine Option.
Die Straßen sind voller sonnengebräunter und lachender Menschen. Der Sommer ist heiß, Wasserfontänen schaffen Abkühlung. Die Bars sind gefüllt mit Familien und Teenagern. Buntes Leben, wohin wir nur blicken. In der Luft hängt der Rauch von Wasserpfeifen und Gegrilltem, über den Köpfen der Passanten hängen farbenfrohe Schirme zwischen den Bäumen.
Abseits der Stadt auf einer Wiese irgendwo im Westen des Kosovos. Wir haben die Städte hinter uns gelassen und unser Camp für die Nacht aufgeschlagen. Ein nahegelegenes Dorf bietet uns etwas Schutz. Am späten Nachmittag kommen zwei neugierige Männer vorbei, mustern uns und unser Auto mit Dachzelt. Sie nicken, wir heben die Hand zum Gruß – schon sind sie wieder weg.
Am Horizont erheben sich die Gipfel der albanischen Alpen. Die Sonne sinkt sich tiefer und tiefer, das Licht des Abends wird weicher. Erst schimmert es golden, dann orange, schließlich blau. Der wolkenlose Himmel ist ein Flammenmeer. Die letzten Lichtstrahlen dieses heißen Augusttages verfangen sich in den Ästen eines knorrigen Baumes. Die Luft ist staubig, seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Schweiß auf unserer Haut – die Nacht bleibt warm. Mit der Dunkelheit kommen die Sterne. Trilliarden von winzigen Punkten, das Licht aus uralten Zeiten von Himmelskörpern, die womöglich unlängst in einer Supernova verglüht sind.
Unsere letzte Station im Kosovo ist Prizren. So unscheinbar die Stadt heute wirken mag, so wichtig war sie über die Jahrhunderte. Galt sie einst als Zentrum des serbisch-orthodoxen Christentums, gesellte sich mit der Expansion des osmanischen Reiches auch der Islam hinzu. Prizren war und ist ein bedeutsamer Knotenpunkt für den Handel und die Begegnung von Abend- und Morgenland.
Die serbisch-orthodoxe Kirche Bogorodica Ljeviška – zeitweilig als Moschee genutzt – ist mit Stacheldraht umzäunt. Auch an ihr hat sich in der Vergangenheit der Hass an der serbischen Herrschaft entladen. Über eine alte Steinbrücke queren wir den ausgetrockneten Fluss. Die Sinan-Pascha-Moschee prägt das Viertel. An ihr vorbei führt uns eine steile Straße hinauf zu einer mittelalterlichen, serbischen Festung. Das Areal ist weitläufig, bis auf die dicken Festungsmauern ist kaum noch etwas erhalten. Doch der Ausblick über Prizren ist wundervoll. Sanfte Bergketten umrahmen die Stadt. Die roten Dächer der Häuser liegen vor uns, Kirchen und Moscheen stehen dicht beieinander.
Kurz darauf verlassen wir den Kosovo Richtung Morine. Die Sonne brennt auf uns herab, das Land wird flacher, umso südlicher wir kommen. Die Landschaften des Kosovos sind hügelig und trocken. Karges Buschwerk, rauer Fels. Die Städte sind nicht besonders schön und so mag man sich die Frage stellen, wie dieses kleine Land so umkämpft sein kann. Die Antwort liegt irgendwo begraben unter Historie, Abstammung und Nationalismus, Zugehörigkeit und Volksheldentum, einer vagen Idee von Einigkeit und einer wackligen Vorstellung der Zukunft. Der Kosovo ist ein Schmelztiegel, ein zerrissenes Land. Aber seine Menschen sind voller Zuversicht.
Infos zu unserer Reise
Ist der Kosovo ein lohnenswertes Reiseziel? Ja und Nein. Kaum einer wird sich bewusst für zwei Wochen Kosovo-Urlaub entscheiden und direkt Pristina anfliegen. Die meisten hingegen werden den Kosovo in ihren Balkan-Urlaub integrieren. Interesse für die Geschichte des Landes solltet ihr dabei durchaus mitbringen – denn im Vergleich zu den umliegenden Ländern hat der Kosovo unserer Meinung nach weniger schöne Städte und weniger abwechslungsreiche Natur zu bieten. Man merkt dem Land den langen Unabhängigkeitskrieg und die wirtschaftliche Schwäche einfach an. Dafür wird hier der Konflikt zwischen Serbien und all den anderen ehemaligen Jugoslawien-Staaten zum Greifen nahe erlebbar.
Ihr bereist das kleine Land am besten mit dem eigenen Auto. Die Hauptstraßen sind gut ausgebaut, der Euro ist Hauptzahlungsmittel. Im Allgemeinen ist die Infrastruktur in Ordnung. Im Notfall seid ihr schnell in eines der umliegenden Länder gereist – mit eventuell etwas besserer Versorgung.
Das Preisniveau im Kosovo ist deutlich niedriger als in Deutschland, was den Urlaub dort günstig macht. Unterkünfte, Restaurants und Transport sind wesentlich preiswerter. Ein Essen in einem Restaurant kostet oft weniger als die Hälfte im Vergleich zu Deutschland. Auch Eintrittspreise für Sehenswürdigkeiten sowie öffentliche Verkehrsmittel sind erschwinglich. Besonders in ländlichen Gebieten kann man für kleines Geld gut übernachten und essen.
Das Essen im Kosovo ist eine Mischung aus balkanischen und mediterranen Einflüssen. Typische Gerichte sind Flija, ein geschichteter Pfannkuchen, und Pite, eine gefüllte Teigspezialität, ähnlich der Börek. Frisches Gemüse, gegrilltes Fleisch und Schafskäse spielen eine zentrale Rolle, wobei Fleisch wie überall am Balkan wirklich im Vordergrund steht. Ćevapi, kleine Hackfleischröllchen, und Tavë Kosi, ein Lammgericht mit Joghurt, sind beliebte Speisen. Dazu wird oft hausgemachtes Brot serviert. Für den süßen Abschluss gibt es Baklava oder Tullumba. Lokale Weine und Kaffee sind ebenfalls weit verbreitet und runden die Mahlzeiten ab.
In Pristina übernachteten wir in in einer schönen und sauberen Airbnb-Wohnung, ansonsten zelteten wir wild. In den Städten bekommt ihr günstige und gute Hotels, in ländlichen Gebieten einfache Pensionen und Gästehäuser. Beim Wildcampen gilt natürlich besonders aufmerksam wegen womöglich noch vergrabener Minen zu sein. Verlasst am besten also nicht die ausgetretenen Pfade.
Die Sicherheitslage im Kosovo ist eigentlich stabil, besonders in touristischen Gebieten und größeren Städten wie Pristina und Prizren. Immer mal wieder nehmen die Spannungen mit Serbien zu, werft also immer mal einen Blick in die Medien während eures Aufenthaltes. Die Kriminalitätsrate ist relativ niedrig, und Gewaltverbrechen sind selten. Reisende sollten dennoch wie überall auf ihre Wertsachen achten, insbesondere in belebten Gegenden. Generell ist das Land sicher für Touristen, und die Gastfreundschaft der Einheimischen trägt zu einer tollen Reiseerfahrung bei.
Reisen mit Kindern im Kosovo gestaltet sich angenehm, da die Menschen sehr kinderfreundlich und hilfsbereit sind. In Restaurants wird oft auf die Bedürfnisse von Familien Rücksicht genommen, und Kinder werden herzlich empfangen. Gerade in größeren Städten wie Pristina gibt es Parks und Spielplätze. Ansonsten ist die touristische Infrastruktur nicht immer optimal auf Familien ausgerichtet, besonders abseits der Hauptstädte.
Besonders leicht bewegt ihr euch zwischen größeren Städten wie Pristina, Prizren und Peja fort. Busse sind das beliebteste Verkehrsmittel und verbinden die meisten Städte und Dörfer zu günstigen Preisen. Mietwagen sind ebenfalls eine gute Option, um die ländlichen Gebiete flexibel zu erkunden, wobei die Straßen oft gut befahrbar, aber teils schmal und schlecht beleuchtet sind. Bei Einreise mit eurem privaten PKW werdet ihr an der Grenze höchstwahrscheinlich eine Kfz-Versicherung abschließen müssen (kostet nicht viel).
Offroadfahren: In Kosovo gibt es so einige Schotter- und Staubpisten, die ihr entdecken könnt. Die meisten Feldwege sind legal befahrbar. Anfänger des Geländefahrens kommen hier auf ihre Kosten. Leute mit mehr Ambitionen fahren lieber weiter bis nach Albanien.
- Wer sich für die moderne Geschichte der Balkanregion interessiert, dem sei die Geschichte Jugoslawiens von Marie-Janine Calic ans Herz gelegt
- Die Journalistin Mechthild Henneke hat einen bewegenden Roman zum Kosovo-Krieg verfasst: Ach, mein Kosovo!
- Einen guten historischen Einblick in die Hintergründe des Koso-Krieges liefert Hans-Peter Kriemann in Der Kosovokrieg 1999