Albanien
Als wir nach Albanien reisten, wussten wir nichts über das Land am Mittelmeer. Wir wussten nur, was es nicht ist. Albanien hatte niemals zu Jugoslawien gehört, sondern war vom kommunistischen Diktator Enver Hoxha regiert worden. Albanien ist kein EU-Land, obwohl es von anderen EU-Ländern umgeben ist. Albanien ist kein religiöser Staat. Albanien ist nicht Italien, Serbien, die Türkei oder Griechenland, obwohl diese Länder einst die gesamte Region beeinflusst oder dominiert hatten. Neben Mutter Teresa kannten wir keine berühmte Persönlichkeit, die Albanien in Sport, Kunst, Musik oder Literatur hervorgebracht hatte.
Wir hatten keinerlei Vorstellungen oder Erwartungen an das Land. Es dauerte keinen Tag, da hatte es uns für sich eingenommen.
Über eine leere Autobahn fahren wir durch das Grenzgebirge von Kosovo nach Tirana. Abseits der Autobahn sehen wir verdorrte Felder oder hinter Zäunen verborgene Anwesen. Das Land wird flacher, der Verkehr dichter – wir nähern uns der Hauptstadt. Endlose Baustellen, die Straßen aufgerissen, Berge von Sand und riesige Maschinen. Blaue Schilder erinnern daran, dass die EU zahlt und fördert. Tiranas Metamorphose vom grauen Kommunisten-Bunker hin zu einer kunstvoll, buntleuchtenden Großstadt ist noch längst nicht abgeschlossen.
Der Skanderberg-Platz sprüht vor nationalem Selbstbewusstsein. Die Oper, die Nationalbibliothek, das Nationalmuseum. Das Rathaus, eine bedeutende Moschee, eine Kathedrale, ein Kriegsbunker voller Kunst und neuerrichtete Hochhäuser. Unweit davon das albanische Parlament. Und dann, am Rand des großen, weiten Platzes: die Statue des Nationalhelden Skanderberg hoch zu Ross.
Albaniens Landschaft im Hochsommer ist meistens karg und gelb. Der Boden ist steinig, am Horizont erhebt sich immer irgendein Berg. Direkt an den Hauptstraßen stehen ab und an groteske Märchenschlösser. Es sind Eventlocations, die sich für Hochzeiten mieten lassen. Eine Reminiszenz an mitteleuropäische Architektur und Klischees.
Ein familiengeführtes Weingut, eine toskanische Idylle. Von Weinreben hängen die beinahe erntereifen Früchte. Wir essen Oliven und frischen Schafskäse, dabei probieren wir den schweren, roten Wein, den sie dem Land abgewinnen. Es ist Albaniens Seele – sie hat Vergangenheit und gewiss auch eine Zukunft. Sie schmeckt anders, lässt sich nicht zuordnen, hat verschiedene Nuancen und Zwischentöne. Ein reicher, interessanter Wein. Eine tiefe, kaum zu beschreibende Seele.
Chris Tip
Wenn ihr wirklich mal ganz andere Weine probieren wollt, dann empfehlen wir euch die Çobo Winery in der Nähe von Berat. Alle Weine, die wir probiert haben, hatten etwas Besonderes und schmeckten uns hervorragend. Grundsätzlich erinnern die Weine an italienische. Unbedingt solltet ihr die albanische Rebsorte Shesh i Zi probieren.
Das Weintasting lohnt sich unbedingt, ihr erhaltet eine kleine Führung durch das Weingut und könnt anschließend verschiedene Weine und einen Raki probieren. Dazu werden kleine Snacks gereicht. Ein echtes Erlebnis!
Berat – die Stadt der tausend Fenster. Einmal über die Brücke und schon wird klar, woher der Spitzname der Stadt kommt. Ein Berghang, an dessen Seite Haus um Haus errichtet wurde, manche davon nur über schmale Gässchen zu erreichen. Ein kleiner Markt am Fluss – eine handvoll Männer bieten eine kleine Anzahl von Früchten an. Im Park nebenan spielen Männer Dame. Abgesehen von ein paar Jugendlichen sehen wir vor allem: Männer. Die Ehefrauen bereiten wohl das Abendessen zu Hause vor. Albanien – das ist auch traditionelles Familienleben.
In der Fußgängerzone suchen wir uns ein gemütliches Plätzchen für einen Kaffee. Teenager flanieren in Gruppen an uns vorbei – Gruppen von Mädchen, Gruppen von Jungs. Manchmal auch Pärchen, die sich unauffällig an der Hand berühren, kichern, verlegen zur Seite blicken. Nach einer Weile ziehen sie erneut an uns vorbei, diesmal von links kommend. So geht es immer weiter: Die Fußgängerzone ist nicht sonderlich lang und anscheinend gibt es in Berat nicht viel zu tun, wenn man nicht gerade als Tourist die tausend Fenster bewundert. Die Jugendlichen laufen vom Anfang bis ans Ende der Fußgängermeile, dann kehren sie um. Hin und her bis sie sich alles erzählt haben oder das Abendessen ruft.
Das Blaue Auge verspricht einsame Abkühlung. Eine Oase inmitten der verdorrten Landschaft. Tatsächlich: Grüne Büsche und Bäume umgeben die sprudelnde Quelle zu der eine staubige Piste führt. Als wir ein Kontrollhäuschen passieren und Eintritt zahlen sollen, ahnen wir, dass es wohl nicht so einsam wie erhofft wird. Das Wasser ist kristallklar, saphirblau. Was Bilder nicht zeigen: Horden von Abkühlung suchenden Menschen tummeln sich im und um das Wasser herum.
Also fahren wir weiter und kommen am späten Nachmittag zu einem See. Die letzten Tagesbesucher ziehen gerade ab, zurück bleiben wir und ein hungriger Hund. Am nächsten Morgen stellen wir fest: Wir haben nur einen Steinwurf entfernt vom historischen Park Butrint übernachtet. Mit einer winzigen, in die Jahre gekommenen Autofähre setzen wir über den See, schon sind wir da. Ein kleines Amphitheater, Büsten römischer Herrscher, zerfallene Säulengänge. Über all das spannen die Zweige von Pinienbäumen ein Dach.
In diesem Sommer brennt Europa. Italien, Griechenland, Spanien sind in den Nachrichten. Doch es brennt auch in Albanien. Immer wieder sehen wir, wie Feuer die kargen Bäume verzehrt.
Gen Norden fahren wir entlang der Küste. Da gibt es die Ferienorte voller italienischer Touristen. Sie kommen mit der Fähre und bevölkern die Strände. Billiges Bier, Sonne, fritierter Fisch mit Pommes. Kinder, die in Sonnenmilch getränkt sind. Schwimmreifen, schmelzendes Eis, Strandpromenaden und ebenso viele Autos wie Menschen. Wir finden aber auch steinige Pisten, die von den Hauptstraßen abführen. Immer mal wieder sehen wir Ausländer in ihren ausgebauten Vans. Nach Corona stehen sie überall. Wir finden einen ruhigen Platz an einer Steilklippe. Unten am Wasser gibt es ein kleines Restaurant und einen hübschen Strand. Nicht einmal hundert Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Meeres, liegt die italienische Provinz Puglia. Dort versinkt die Sonne als rotleuchtender Ball. Es ist unsere letzte Nacht in Albanien. Sie wird uns einen Himmel voller Sterne schenken.
Am Morgen werden wir zu einem albanischen Frühstück eingeladen: ein starker Mokka und ein Raki. Auf nüchternen Magen der Wachmacher schlechthin. Auf der Heimfahrt essen wir in Durrës zu Mittag. Auch hier zeugt ein großes Amphitheater von der einstigen Anwesenheit der Römer. So viel Kultur, so viel Geschichte in diesem Land.
Albanien hat uns einiges geschenkt. Seine Leute, seine Tradition, sein Lachen und sein Essen. Seine Landschaft, die so karg erscheint, und seine Wärme, die dafür umso liebevoller ist. Es schmerzt, dieses Land zu verlassen.
Infos zu unserer Reise
Wir waren total begeistert von Albanien. Die Menschen sind unglaublich offenherzig und gastfreundlich, es gibt so viel an Natur und Geschichte zu entdecken. Albanien bietet tolle Städte und Strände. Es lässt sich bequem mit dem eigenen Auto bereisen und das Preisniveau ist relativ niedrig – allerdings entdecken mehr und mehr Individual- als auch Pauschalreisende das Land für sich. Es ist also längst kein Geheimtipp mehr. Was uns allerdings gar nicht gefiel sind die Touristenorte am Meer. Städtchen wie Vlora oder Ksamil sind überlaufen und nicht wirklich schön. Für einen reinen Strandurlaub gibt es geeignetere Länder.
Albanien ist im europäischen Vergleich unschlagbar günstig. Am Meer und insbesondere in den Touristenorten zahlt ihr natürlich etwas mehr.
Einmal solltet ihr das albanische Frühstück, bestehend aus starkem Mokka und Raki, versuchen. Falls ihr davon nicht satt werden solltet, probiert albanisches Brot oder Krapfen dazu.
Überall werdet ihr Oliven und verschiedene Käsesorten finden, viel Olivenöl, Wein und Bier (oft auch italienische Produkte). Die Küche ist also durchaus mediterran mit orientalischen Einflüssen. Gewürze werden reich verwendet, außerdem viele Sorten von Gemüse. Doch Fleisch spielt die größte Rolle, hauptsächlich Lamm, Schaf und Rind. Ihr werdet auf jeden Fall etwas finden, das euch schmeckt. Und falls ihr es doch lieber klassisch mögt: Italien ist um die Ecke und so findet ihr in jeder Stadt auch hervorragende italienische Küche.
Wir waren in Albanien mit dem Dachzelt unterwegs. Nur in Tirana und Berat übernachteten wir im Hotel.
In Tirana waren wir im Artistic Tirana Guesthouse, das sehr sauber war und kunstvoll eingerichtete Zimmer hat. Außerdem schläft man hier für recht wenig Geld. In Berat kamen wir im Hotel Omer unter – ebenfalls sehr schöne Zimmer, zentral gelegen und eine sehr nette Gastgeberin.
Kosovoalbaner, Messerstechereien, Ehrenmorde, Kanun, Bandenkriminalität. Das sind die Bergriffe, die viele im Kopf haben, wenn sie an Albanien denken. Die Wahrheit ist: Albanien ist ein äußerst sicheres Reiseland. Seitdem es EU-Beitrittskandidat ist, hat sich viel getan in puncto Sicherheit und Transparenz. Ihr könnt also ohne Bedenken durch Albanin reisen und auch im Freien campen (natürlich solltet ihr trotzdem die üblichen Sicherheitsratschläge beherzigen).
In Albanien waren wir noch nicht mit Kind. Da in diesem Land Familie groß geschrieben wird, schätzen wir, dass Kinder äußerst freundlich und liebevoll behandelt werden. Ohnehin hat Albanien so viel Abwechslung zu bieten, dass Kinder gewiss auf ihre Kosten kommen werden.
Um Albanien zu erkunden, gibt es unserer Meinung nach nur ein adäquates Transportmittel: das eigene Auto. Die Anfahrt aus Deutschland lässt sich mit Stops am Mittelmeer unterhaltsam gestalten. Ohnehin lockt Albanien seit einigen Jahren die europäische Offroadszene an, da es hier noch viele herausfordernde und legale Tracks gibt. Beachtet, dass das Straßennetz nicht überall gut ausgebaut ist. Selbst wenn der Straßenbelag einwandfrei ist, gibt es viele Berge mit engen Pässen oder Serpentinen, die Zeit kosten und konzentriertes Fahren verlangen.
Offroadfahren: Leider konnten wir mit unserem Honda CR-V nicht wirklich ins Gelände, aber Albanien ist das Offroadparadies schlechthin. Es gibt zahlreiche Roadbooks, die euch die schönsten Strecken zeigen (Empfehlungen im Tab „Lesenswert). Aber Achtung: Offroadfahren in mediterranen Umgebungen ist selten lackschonend. Dornige Büsche kratzen am Fahrzeug und hinterlassen bleibende Erinnerungen. Das sollte euch bewusst sein!
- Einen guten Überblick über die Geschichte Albaniens findet ihr in Franziska Tschinderles Albanien: Aus der Isolation in eine europäische Zukunft
- Einen großräumigen Blick wirft Marie-Janine Calic in Geschichte des Balkans: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
- Offroadfahrern legen wir das GPS-Offroad-Tourenbuch Albanien ans Herzen, darin findet ihr 29 Routen für Selbstfahrer mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden