Bosnien und Herzegowina
Bosnien und Herzegowina ist ein wildes Land voller Narben. Schroffe Berge und felsige Täler, sonnenverbrannte Felder und glasklare Seen. Die Vergangenheit ist nah und grausam. Die gesellschaftliche Spaltung, die Jugoslawien und sein blutiges Ende hinterlassen haben, ist tief. In kaum einem Land treffen Okzident und Orient härter aufeinander wie in Bosnien und Herzegowina. Aber auch Tradition und Moderne, ethnischer Nationalismus und Vielvölkerstaat, Verleugnung und Wahrheit sind hier Gegensätze, die dicht an dicht stehen. Trotz allem sind die Menschen dieses schönen Landes gastfreundlich und voller Herzlichkeit. Ein Land im Aufbruch, mit Hoffnung in den Herzen der Menschen.
Ein kleiner Grenzübergang führt uns von Kroatien nach Bosnien. Wir folgen einer engen Straße, die sich in zahlreichen Kurven einen Berg hinauf schlängelt. Die Straße wird zu einer staubigen Piste. Anscheinend haben wir eine falsche Abzweigung genommen. Steile Abfahrten und Schlaglöcher, tief hängende Äste und vorbei an idyllischen Farmhäusern – irgendwann gelangen wir zurück auf eine gut ausgebaute Schnellstraße, die uns zur größten Stadt der Region führt.
Umgeben von Schluchten und Gebirgslandschaften liegt Banja Luka. Grüne Alleen durchziehen ihr Herz, der Fluss Vrbas fließt ateriengleich durch dessen Mitte. Eine alte Festung markiert das mittelalterliche Zentrum. Heute ist Banja Luka Regierungssitz der Republika Srpska und Universitätsstadt. Etwas verschlafen an diesem heißen Sommernachmittag, in den Cafés und Bars sitzen ein paar wenige Menschen im Schatten. Der Kirchturm der Erlöserkathedrale wirft einen Schatten auf den umliegenden Platz. Eine alte Frau hat den Blick ehrfurchtsvoll zum Kreuz an der Spitze erhoben.
Wir queren Schluchten und enge Serpentinen – immer wieder müssen Busse und Lastwagen ausweichen und zentimetergenau am Abgrund seitlich der Straße rangieren, um entgegenkommende Autos passieren zu lassen. Irgendwann erreichen wir Sarajevo. Erst präsentieren sich die Randbezirke der Stadt als hässliche Überbleibsel der jugoslawischen Ära. Dann, nachdem wir unser Auto sicher geparkt haben, stehen wir plötzlich in einer wahnsinnigen Fußgängerzone. Eine Straßenmarkierung trennt den christlich-westlichen Teil der Stadt vom osmanisch-östlichen. Krasser könnten die Welten nicht aufeinanderprallen. Im christlichen Viertel erheben sich orthodoxe Kirchen aus dem Häusermeer hervor. Die Fassaden der Gebäude, Baustile und -elemente, Farben und Formen sind vielfältig. Vieles ist heruntergekommen, nur weniges renoviert. Am Ende der Fußgängerzone brennt eine ewige Flamme zum Gedenken der Opfer des Zweiten Weltkrieges.
Wir drehen uns um und laufen zurück in den osmanischen Teil. Die Straße wird zunehmend voller. Die türkischen Cafés sind gefüllt mit Menschen. Vor den Moscheen versammeln sich Betende. Es ist ein unentwirrbares Treiben. In den hinteren Gassen und Seitenstraßen verstecken sich kleine Basare und Handwerksläden. Kupferne Tassen und kunstvoll gearbeitete Metallwaren. Süßigkeiten und Teppiche. In der Luft hängt der Geruch von Shishadampf und gebackenem Brot. Mit einem Schlag sind wir rund eintausend Kilometer weiter nach Istanbul geworfen worden. Noch mehrmals werden wir an diesem Abend die Welten wechseln und immer wieder in Staunen versetzt werden.
Die Menschen von Sarajevo sind widerstandsfähig und voller Hoffnung, trotz einer grausamen Vergangenheit. Während der Belagerung im Bosnienkrieg, als selbst Wasser lebensgefährlich zu beschaffen war, teilten sie Brot und Mut. Heute flanieren die Bewohner der Stadt über den Markale-Platz, einst Schauplatz einer Tragödie, der jetzt voller Leben ist. Cafés sind gefüllt, Musik erklingt, und die Straßen sind voller Kinder, Pärchen, Alten und Touristen. Sarajevo ist ein Ort, an dem Vergangenheit und Zukunft nebeneinander existieren.
Es geht hinaus aus der Hauptstadt. Wir folgen einer immer schmaler werdenden Straße, die sich durch Gebüsch und Sträucher höher und höher schraubt. Plötzlich liegt ein Portal vor uns: Die Natur hat in das Gebirge ein Tor gehauen, das wir passieren. Dahinter breitet sich ein Hochplateau mit karger Steppenlandschaft, Nadelhölzern, einsamen Ferienhütten und einem glasklaren Bergsee aus: Willkommen im Blidinje Nationalpark.
Mittagessen in einem Touristenrestaurant – wohl dem einzigen hier oben. Gruppen von Quads brausen immer mal wieder an uns vorbei. Wir verlassen die Straße und umrunden den See auf einem holprigen Feldweg. An einer geschützten Stelle direkt am Wasser schlagen wir unser Camp auf. Über den Bergen braut sich ein Unwetter zusammen. Regen und Hagel zwingen uns dazu, das Gewitter im Auto auszusitzen. Als der Himmel später wieder aufklart, erkunden wir die Umgebung. Es ist die Idylle, nach der wir gesucht haben. An diesem Abend gehört sie uns allein.
Der oberkörperfreie Mann steigt über das Geländer der Brücke. Eine minutenlange Show, in der er die wartende Masse von Menschen anheizt. Er bittet um Ruhe, breitet die Arme aus, dann lässt er sich fallen. Elegant stürzt er 19 Meter in die Tiefe, bevor er im Wasser versinkt. Die im Bosnienkrieg zerstörte und zehn Jahre später wiederaufgebaute Brücke Stari Most ist zum Wahrzeichen von Mostar geworden. Zwischen Bergen gebettet und voller verwinkelter Gassen sind die Stadt und ihre Umgebung ein Ort, der entdeckt werden möchte. Die Minarette zahlreicher Moscheen ragen zwischen den flachen Häusern empor. Boote treiben den Fluss Neretva hinab, an dessen Ufer Schaulustige den Brückenspringern zusehen.
Das dunkelste Kapitel der Landesgeschichte ist wohl der Völkermord an etwa 8.000 Bosniaken. Bis heute ziehen sich die Mörder, Befehlsgeber und die Republik Serbien aus ihrer Verantwortung und leugnen die Geschichte.
Srebrenica liegt in einem grünen Tal. Am Rand einer Burgruine wachsen Birnen- und Apfelbäume. Am Ortsrand liegen die Friedhöfe, Minarette und ein Kirchturm stehen nah beieinander. In einem verlassenen Hotel haben Jugendliche Graffiti gesprüht. Auffallend viele Häuser sind verlassen und zerstört. Auch wenn das große Morden nicht hier stattgefunden hat, ist es unmöglich, sich Srebrenica ohne die Schreie und verzweifelten Tränen der Opfer vorzustellen. Noch immer hat sich die Region nicht vom Massaker erholt. Ein Großteil der Bevölkerung ist nicht zurückgekehrt und eine gewisse Perspektivlosigkeit herrscht vor.
In einer ehemaligen Batteriefabrik kam die UN-Blauhelm-Mission unter. Flüchtlinge suchten in diesem vermeintlich sicheren Hafen Schutz. Die Blauhelm-Soldaten sahen zu, wie serbisches Militär unter Führung von Ratko Mladić Männer und Frauen separierte und über Leben und Tod entschied. Männer und Jungs wurden zur Exekution in benachbarte Ortschaften geführt.
Unerträgliche Stille hängt in den ehemaligen Fabrikhallen. Entsetzte Gesichter, heimliche Tränen. Bilder und Videos zeigen das Grauen. Kunstinstallationen und Objekte aus den Massengräbern machen die Geschichte quälend lebendig.
Der Brčko-Distrikt stellt bis heute eine Sonderrolle der Verwaltung dar und zeigt, dass die gesellschaftlichen sowie ethnischen Gräben im Land noch immer tief sind. Offiziell verwalten die Föderation Bosnien und Herzegowina sowie die Republika Srpska den Distrikt Brčko.
An diesem warmen Spätsommerabend ist die Fußgängerzone der Grenzstadt von Menschen erfüllt. Zwei Mädchen verkaufen selbstgemachte Armbänder. Es wird Bosnisch, Deutsch oder Englisch gesprochen. Viele, die im Bosnienkrieg in sichere Länder geflohen sind, haben Familien in ihrer neuen Heimat gegründet. Nun sind sie für einen Urlaub zurückgekehrt. Die Stimmung ist gelöst, Lachen schallt durch die Straßen.
Die Geschichte hat mehr als eine Seite. Wahrheit und Lügen vermischen sich. Die Jahre vergehen und die Zeugen werden weniger. Letztendlich bleibt die Vergangenheit das, was wir heute in Geschichtsbüchern über sie lesen. So werden Mörder zu Helden und Menschen zu Zahlen. Opferzahlen, Soldatenzahlen. Zahlen von Hungernden, Zahlen von Sterbenden, Zahlen von Vertriebenen.
Der Bosnienkrieg ist einer der aktuellsten und blutigsten Kriege in Europa. Dreißig Jahre später spaltet der vor Jahrzehnten gesäte Hass noch immer die Gesellschaft. Mancherorts scheinen die Gräben unüberwindbar. Wann beginnen die Menschen, die Schönheit ihres Landes und die ethnische Vielfalt als wertvollen Schatz zu betrachten? So viel Neues könnte daraus entwachsen.
Infos zu unserer Reise
Bosnien und Herzegowina ist sowohl ein unheimlich schönes Land als auch ein Land voller Geschichte. Natürlich könnt ihr hier einen tollen Campingurlaub verbringen, ohne euch mit der Vergangenheit des Landes zu beschäftigen. Allerdings treten die Narben der Vergangenheit nahezu überall so deutlich zutage, dass ihr sie kaum ignorieren werdet können. So sehr die Beschäftigung mit den grausamen Ereignissen auch schmerzt, lohnt es sich, um das Land und seine Menschen besser zu verstehen.
Auf jeden Fall werdet ihr eine an Kultur reiche Region bereisen. Wir empfehlen euch durchaus, die ein oder andere Stadt zu besichtigen und natürlich auch genügend Zeit für die wilde, raue Natur einzuplanen. Gerade Mostar und Sarajevo sollten auf eurer Reiseroute nicht fehlen. Alle anderen Städte könnt ihr leicht an einem Nachmittag besichtigen, ohne zu viel dort zu verpassen. Und falls euch die Sehnsucht nach Meer quält, sind wunderbare Badestellen in Kroatien oder Montenegro nicht fern.
Bosnien und Herzegowina ist recht günstig. Ein Zimmer in einer Pension oder einem Hotel findet ihr schon ab etwa 25-30 Euro. Essengehen für zwei Personen kostet euch circa 20-30 Euro. Auch Tanken ist im Vergleich zu Mitteleuropa günstiger.
Das Essen ähnelt den Speisen der anderen Balkanstaaten. Viel Fleisch steht auf der Speisekarte in Form von Ćevapčići und überhaupt Gegrilltem. In den meisten Restaurants werdet ihr Fleisch- und Grillplatten mit Pommes finden. Gerade in Mostar und Sarajevo kommt ihr in den Genuss von türkischen Spezialitäten, diese werden auf den Basaren und in türkischen Cafés gereicht. Ihr könnt hier wirklich stilecht Türkisch essen.
In den Städten findet ihr gute und günstige Pensionen oder Hotels in den gängigen Buchungsportalen. Wir haben die Nächte auch auf Campingplätzen verbracht: in der Nähe der Mlinčići Wassermühlen auf dem Autocamp Plivsko Jezero und in Mostar auf dem Platz Camping Neretva. Für beide Plätze gilt, dass sie zwar sauber, aber auch rustikal und sehr schlicht, sind. Prinzipiell könnt ihr in Bosnien und Herzegowina auch problemlos wildcampen, was wir beispielsweise im Blidinje Nature Park getan haben. Informiert euch allerdings zuvor, welche Gebiete noch vermint sind. Gerade die Grenzregionen sind noch stark von vergrabenen Minen betroffen. Hier solltet ihr die angelegten Wege und Pfade nicht verlassen.
Bosnien und Herzegowina ist ein sehr sicheres Land. Die Kriminalität ist auf einem ziemlich niedrigen Niveau. Allein die bereits erwähnten Landminen stellen – 30 Jahre nach dem Bosnienkrieg – noch immer eine große Gefahr dar. Auf Nummer sicher geht ihr, wenn ihr beim Wandern einfach auf den ausgefahrenen Wegen bleibt. Allgemein sind Häuserruinen und Grenzgebiete potenziell mit Minen verseucht, aber auch im Landesinneren und um die Hauptstadt Sarajevo gibt es noch aktive Minen. Informiert euch also gründlich vor Ort, wenn ihr Wanderungen oder Tracks abseits der Touristengebiete unternehmen möchtet.
Bosnien und Herzegowina ist ein kinderfreundliches Reiseland, besonders wegen seiner gastfreundlichen Kultur. Familien können Nationalparks wie die Kravica-Wasserfälle erkunden oder historische Städte wie Sarajevo und Mostar entdecken. Spielplätze und familienfreundliche Restaurants sind in größeren Städten vorhanden, doch in ländlichen Gebieten fehlt es manchmal an moderner Infrastruktur.
In Bosnien und Herzegowina ist ein Mietwagen die beste Wahl, um die vielseitige Landschaft zu erkunden. Die Hauptstraßen zwischen Städten wie Sarajevo, Mostar und Banja Luka sind meist in gutem Zustand. In ländlichen Gebieten können die Straßen jedoch schmal und schlecht instand gehalten sein, oft ohne klare Markierungen oder Leitplanken. Auch Serpentinenstraßen durch die Berge erfordern Vorsicht. Autobahnen sind begrenzt, es gibt jedoch gut ausgebaute Schnellstraßen. Tanken ist in Städten problemlos möglich, auf dem Land sollte man planen. Auf wenigen Autobahnabschnitten (um Sarajevo, Mostar und nach Kroatien) ist eine Maut zu entrichten. Diese wird direkt an der Autobahn gezahlt.
Offroadfahren: Offroadfahren in Bosnien ist ein beliebtes Abenteuer, besonders in den abgelegenen Bergregionen wie dem Dinarischen Gebirge oder entlang des Flusses Drina. Viele Schotterpisten führen zu malerischen Aussichtspunkten und unberührter Natur. Ein geländetaugliches Fahrzeug ist für diese Strecken empfehlenswert, da Straßen oft steil und uneben sind.
Wildcampen ist in Bosnien offiziell nicht erlaubt, wird aber in abgelegenen Gebieten in der Regel toleriert. Besonders in Nationalparks sollte man sich jedoch an die Regeln halten und seinen Platz sauber hinterlassen. Im besten Fall nehmt ihr sogar den Müll der anderen mit, dann hat euer Aufenthalt noch einen positiven Impact. Ganz wichtig: Achtung vor Minen (s. Abschnitt Sicherheit).
- Wer sich für die moderne Geschichte der Balkanregion interessiert, dem sei die Geschichte Jugoslawiens von Marie-Janine Calic ans Herz gelegt
- Es gibt einige Autorinnen und Autoren, die ihre Erlebnisse aus dem Bosnienkrieg und dem Massaker von Srebrenica zu Papier gebracht haben, bspw. Mirsada Simchen mit ihrem Buch Lauf, Mädchen, lauf!: Mein Dorf in Bosnien, der Krieg und mein neues Leben oder Hasan Hasanovic mit Srebrenica. Kein Vergessen. Kein Vergeben: Der Bericht eines Überlebenden. Beides sind bewegende und emotionale Bücher
- Politisch nicht mehr ganz aktuell, dennoch noch immer eindringlich ist Juli Zehs Reiseschilderung von Bosnien in Die Stille ist ein Geräusch: Eine Fahrt durch Bosnien